18. Mrz 2015

Heute sollten wir alle frei haben

Ein Kommentar von Benedikt Erenz auf zeit.de

Helmut Kohl machte den 3. Oktober zum Feiertag und dachte dabei auch an das Wetter. Dabei eignet sich kein Tag besser als der 18. März, die deutsche Demokratie zu feiern.

"Die Menschheit und die Erde: ein Volk, ein Land, ein Ziel!" schreibt der deutsche Weltbürger Ludwig Pfau schon im 19. Jahrhundert. Und wer wollte sich da im 21. Jahrhundert noch mit Flaggen und Hymnen und Nationalfeiertagen befassen? Seltsamerweise muss – tief in seinem Innern – auch der "Kanzler der Einheit", Helmut Kohl, so gedacht haben, als er 1990 alle seine Strippen zog, um den 3. Oktober als neuen Nationalfeiertag des wiedervereinigten Deutschlands durchzusetzen. Folgt man den köstlichen Kohl-Protokollen, die Heribert Schwan und Tilman Jens 2014 in ihrem Buch Vermächtnis ausbreiten, dann ging es Kohl dabei vor allem um eins: ums gute Wetter.

Er habe sich, so steht da zu lesen, vom Deutschen Wetterdienst eine Expertise geben lassen, und die sei für den 3. Oktober ausgesprochen günstig ausgefallen. Im Übrigen hätten es die Franzosen mit ihrem 14. Juli doch nicht anders gemacht. Sturm auf die Bastille? Alles Quatsch! Der Sommertag ist’s, das schöne Wetter, der Aufbruch in die großen Ferien.

Allerdings, dies sei nicht verschwiegen, ging es Helmut Kohl auch darum, den 9. November zu verhindern, den Jahrestag der Maueröffnung, den die ihm so herzlich verhasste Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und andere liberale CDUler zum Tag der Deutschen erheben wollten, mit Erinnerungen an die Revolutionen von 1848 und 1918 und die NS-Pogrome von 1938. Doch dagegen sprach schon – eben, das schlechte Wetter, der November! Also, wenn er denn sein muss, so ein Tag, so ein Nationalfeiertag in der entgrenzten Welt von heute, dann bitte einer ohne Niederschlag. Dann bitte ein goldener Oktober mit vollen Ausflugslokalen.

Mai wäre auch nicht schlecht gewesen, wettermäßig, da hatte man es ja mal versucht, in den siebziger Jahren, mit dem 23. Mai, dem "Verfassungstag", der an den 23. Mai 1949 erinnern sollte, den Gründungstag der Bundesrepublik. Aber das hat nie so richtig funktioniert, und 1990, auf dem Weg in die just erfundene, heute wieder aus den Leitartikeln stillschweigend verschwundene "Berliner Republik", mochte sich niemand mehr so recht an die Bonner erinnern.

So blieb es beim 3. Oktober, der sich mit keiner historischen Erfahrung verbindet, nur mit dem bürokratischen Beitrittsakt der DDR zur BRD, der an just jenem Tag im Herbst 1990 so ordnungsgemäß vollzogen wurde wie die Ziehung der Lottozahlen, mit Stempel und in dreifacher Ausfertigung. Ein Feiertag aus dem Hängeregister, aus der Dienstumlaufmappe, ein Triumph der Beamtenrepublik Deutschland.

Dabei gibt es längst ein Datum, das zu feiern es sich lohnte. Das zu vielen historischen Gedanken Anstoß gibt, das besser als alle anderen Gedenktage Deutschlands langen Weg nach Westen beschreibt beziehungsweise recht eigentlich daran erinnert, dass Deutschland immer schon im Westen lag. Es ist der 18. März.

Es sind die drei 18. Märze der neuzeitlichen deutschen Geschichte. Der 18. März 1793, der Tag an dem in Mainz die erste moderne Republik auf deutschem Boden ausgerufen wurde, der 18. März 1848, als in Berlin Bürger und Arbeiter gemeinsam für Freiheit und Menschenrechte auf den Barrikaden standen und die Soldaten des Hohenzollernregimes zum Rückzug zwangen, und der 18. März 1990, als die Bürger der DDR zum ersten Mal in einer freien Wahl ihr Parlament, die Volkskammer, wählten  – und damit zugleich die deutsche Einheit in Freiheit vollendeten. Das sind Daten, das ist der Tag, den zu feiern es sich lohnt!

Nun wird in dieser Debatte mit Blick auf 1793 gern eingewandt, dass die Mainzer Republik noch keine lupenreine Demokratie gewesen sei. Das stimmt – verglichen mit den Verhältnissen von heute, über zwei Jahrhunderte danach. Aber wie demokratisch waren denn die USA von 1776? Eine Republik von Sklavenhaltern! Und doch: Wer stellte heute den Fourth of July als Nationalfeiertag ernsthaft infrage, den Tag, an dem die Amerikaner 1776 ihre Unabhängigkeit von Europa erklärten?