25. Aug 2016

Kohl elektrisiert immer noch

Beitrag auf wz.de von Hagen Strauß

Der Streit um ein Buch über Helmut Kohl geht in die nächste Runde - der Altkanzler will Schadensersatz.

Berlin. Um ihn ranken sich viele Gerüchte. Ist es wirklich er, der sich äußert, wenn mal wieder ein kritischer Beitrag unter dem Namen von Helmut Kohl in der "Bild" erscheint? Oder spricht da aus den Zeilen seine Frau Maike, wie spekuliert wird? Wie geht es Kohl tatsächlich, der nach einem Unfall schon seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt ist und kaum noch reden kann? Der Altkanzler, sein Schicksal, sein Erbe, elektrisiert nach wie vor viele.

Seine Kräfte hat der stets polarisierende Kohl offenbar noch einmal mobilisiert. Und zwar für einen Rechtsstreit mit seinem früheren Ghostwriter Heribert Schwan. Fünf Millionen Euro Schadensersatz will der ehemalige CDU-Patriarch wegen angeblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten erstreiten. In den Jahren 2001 und 2002 hatte Schwan Kohl mehr als 600 Stunden lang interviewt, der Oggersheimer will auch die Kopien der Aufzeichnungen.

Im Kern geht es aber um Zitate aus dem Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle", das Schwan auf der Grundlage der Interviews mit seinem Co-Autor Tilman Jens verfasst hat. Gegen deren Veröffentlichung wehrt sich der heute 86-Jährige. Die deftigen Äußerungen über andere Politiker und enge Wegbegleiter waren es, die das Buch 2014 zum Bestseller gemacht hatten. Das Schadensersatzverfahren wurde am Donnerstag zwar vom Landgericht Köln vertagt - Kohl scheint aber gute Karten zu haben, so lassen sich zumindest Einlassungen des Richters interpretieren. Gleichwohl spielt das Geld nur vordergründig eine Rolle. Hinter dem Streit verbirgt sich insbesondere die Frage, wer die Deutungshoheit innehaben soll über die zweifellos historischen Leistungen des Politikers Kohl; wer den Zugriff auf den Nachlass des Altkanzlers bekommt. Maike Kohl-Richter, die Ehefrau, beansprucht das Recht offensichtlich allein für sich.

Ein Kohl vergisst und verzeiht nicht. Das steht jedenfalls fest. Das wissen alle, die über Jahrzehnte mit dem Kanzler der Einheit zu tun gehabt haben. Und mit denen er im Zuge seiner Spendenaffäre vor mehr als 15 Jahren gebrochen hat: Norbert Blüm, Wolfgang Schäuble, Heiner Geißler. Um nur einige der alten Mitstreiter zu nennen, von denen sich ein verbitterter Kohl verraten fühlt. Angela Merkel gehört ebenfalls dazu. Sie hatte ihm als Generalsekretärin im Spendenskandal den Stuhl vor die Parteitür gesetzt, ihn als Vorsitzende und später als Kanzlerin beerbt. Ausgerechnet die Frau aus der DDR, die "Kohls Mädchen" genannt wurde, die anfänglich Probleme gehabt haben soll, mit "Messer und Gabel zu essen", wie er in dem Schwan-Buch zitiert wird. "Diese Dame ist ja wenig vom Charakter heimgesucht", ist ebenfalls zu lesen.

Kohl lässt es sich zudem nicht nehmen, die Kanzlerin immer wieder zu kritisieren. In der Eurokrise 2011 warf er ihr vor, keinen Kompass zu haben. Unlängst bemängelte er in einem neuen Buch die Grenzöffnung für Flüchtlinge, und in seinem Bungalow in Oggersheim empfing er sogar Merkels schärfsten Widersacher in der Flüchtlingsfrage, dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban. Wie gesagt, man weiß nicht, inwieweit er die Tonlage noch selbst bestimmt. Altersmilde ist Kohl nicht geworden. Merkel hingegen war im Laufe der Jahre zusehends darum bemüht, versöhnlich mit ihm umzugehen. "Wir freuen uns, wenn sein Zustand es erlaubt, regen Anteil am politischen Leben zu nehmen", ließ die Kanzlerin unlängst mal wissen. Ob dem angesichts der Kohl'schen Querschüsse tatsächlich so ist? Auch darüber kann man getrost spekulieren.