03. Mrz 2016

Kohl kämpft um sein Vermächtnis

Beitrag auf sueddeutsche.de von Bernd Dörries und Hans Leyendecker

Der Altkanzler verklagt den Autor seiner Memoiren - und fordert fünf Millionen Euro. Es geht um 115, teils sehr direkte Zitate von Kohl über Parteifreunde und politische Weggefährten.

Die Klageschrift in dem Rechtsstreit "Bundeskanzler a. D. Dr.Helmut Kohl gegen Dr. Schwan u. a." umfasst 77 Seiten, und die Verfasser sparen nicht mit Superlativen. Es handele sich, schreiben die Anwälte des Altkanzlers, um eine "Superklage", weil es um eine "Superpersönlichkeitsrechtsverletzung einer herausragenden Persönlichkeit der Zeitgeschichte" gehe. Deshalb wird ein Superschmerzensgeld gefordert. Es wäre das höchste in der deutschen Rechtsgeschichte.

Der Altkanzler hat seinen einstigen Ghostwriter Heribert Schwan, den Journalisten Tilman Jens und die Verlagsgruppe Random House (Heyne-Verlag) als Gesamtschuldner auf Schadenersatz in Höhe von mindestens fünf Millionen Euro zuzüglich fünf Prozent Zinsen verklagt.

Vor dem Landgericht Köln beginnt am Donnerstag die Verhandlung in der Hauptsache. Es ist die Fortsetzung des Rechtsstreits um das 256 Seiten dicke Buch "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle" und das gleichnamige Hörbuch, das eine Spieldauer von sieben Stunden und 41 Minuten hat. In Buch und Hörbuch war aus nicht freigegebenen Tonband-Aufnahmen zitiert worden. Gerichte verboten in den vergangenen Jahren den weiteren Vertrieb des Werkes mit 115Zitaten. Restexemplare werden aber weiterhin vom Buchhandel verkauft.

Drei Bände erschienen, dann zerbrach die Vertrauensbeziehung

Der frühere WDR-Journalist Schwan hatte vor mehr als 14Jahren 630 Stunden mit Kohl geredet und die Gespräche auf Tonband aufgezeichnet, um auf dieser Basis im Namen, Auftrag und nach Vorstellungen des Kanzlers dessen Memoiren zu schreiben. Drei Bände erschienen, dann zerbrach die Vertrauensbeziehung. Aus dem noch nicht veröffentlichten Material machte Schwan dann gemeinsam mit dem Journalisten Jens "Die Kohl-Protokolle" - ohne Einwilligung des Altkanzlers.

"Das Ausmaß des Rechts-und Vertrauensbruches" habe eine Dimension, "die in der Geschichte einmalig ist", schreiben die Anwälte Kohls. "Die Höhe der Entschädigung muss sich an der historischen Dimension des Vorgangs messen." Sie müsse für Journalisten und Verlag "hinreichend schmerzlich und spürbar" sein, "sonst wäre sie sinnlos". Dabei müsse auch der "Präventionsgedanke" berücksichtigt werden.

Die exorbitante Summe von mindestens fünf Millionen Euro berechnen die Kohl-Anwälte so: Allein aus dem Verkauf des gedruckten Buches ergebe sich bei einer verkauften Auflage von 200 000 eine fiktive Lizenzgebühr für Kohl in Höhe von rund 540 000 Euro. Ohne Hörbuch. Weil das Lebenswerk des Altkanzlers durch die vielen Zitate "massiv" beschädigt worden sei, müsse die "Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung" berücksichtigt werden. Es gebe keinen vergleichbaren Fall, in dem ein lang gedienter Staatsmann "derart öffentlich bloßgestellt, vorgeführt und verspottet worden" sei. Auch deshalb sei die beantragte "Mindestentschädigungssumme" in Höhe von fünf Millionen Euro "in jedem Fall sach- und tatangemessen".

Helmut Kohl sei, anders als das Buch suggeriere, "kein Mensch der Rache und der öffentlichen Häme" gewesen. Er habe zwar "deutliche Worte gesprochen", aber "bestimmte Grenzen nicht" überschritten. Anders als zum Beispiel der frühere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß sei Kohl nicht als "verbaler Scharfmacher" mit öffentlichen Urteilen über bestimmte Grenzen bekannt gewesen. Die in dem Schwan-Buch ohne Genehmigung des Altkanzlers veröffentlichten despektierlichen Charakterisierungen oder Beschimpfungen gegenüber seinen politischen Gegnern beziehungsweise Weggefährten hätte Kohl weder selbst veröffentlicht oder zur Veröffentlichung freigegeben, "obwohl er dazu manches Mal Anlass gehabt hätte".

Zitierte Äußerungen sollen Freundschaft zu Gorbatschow beschädigt haben

Die Anwälte Kohls erläutern das in ihrer Klage an einigen Beispielen. In dem Schwan-Buch fand sich etwa eine nicht sehr freundliche Bemerkung Kohls über den früheren Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz. Die Anwälte weisen darauf hin, dass Kohl in einem Tagebuch geschrieben hatte: Er ist eine gute Wahl. Kohl habe "offenkundig bewusst" darauf verzichtet, seine persönliche Meinung über Merz öffentlich zu machen. Sein ehemaliger Biograf tat es: Merz sei ein "politisches Kleinkind", soll Kohl gesagt haben.

Was Merz dazu sagte, ist nicht bekannt. In einem anderen Fall sollen die zitierten Äußerungen des Altkanzlers die Freundschaft zu Michail Gorbatschow"massiv beschädigt" haben. Bis heute sei Gorbatschow "tief verletzt". Schwan hatte Kohl in seinem Buch sagen lassen, Gorbatschow sei "gescheitert". Diese Aussage, so die Anwälte des Altkanzlers, sei "aus dem Zusammenhang gerissen und daher verkürzt und grob verzerrt dargestellt worden". Niemals hätte Kohl so etwas veröffentlichen lassen.

"Wir haben das Buch nicht veröffentlicht, um Helmut Kohl zu schaden", sagt Rainer Dresen, der Leiter der Rechtsabteilung bei Random House. Das Werk sei wichtig, "um zu zeigen, wie er sich ungeschönt geäußert hat. Es ist doch interessant und historisch relevant, was er wirklich über Gorbatschow dachte".

630 Stunden Gespräche

Random House argumentiert in einer 49 Seiten langen Klageerwiderung, dass die 630 Stunden Gespräche nicht mit einem "Schlagersternchen" geführt worden seien, sondern mit einem der bedeutendsten "Staatsmänner der vergangenen fünfzig Jahre" und dass Teile davon nicht "in die offiziellen Memoiren einfließen würden - aus welchen Gründen auch immer". Und da es zwischen Kohl und Schwan keine explizite Vereinbarung gegeben habe, was damit zu geschehen habe, hätten die Zitate veröffentlicht werden dürfen. Der Verlag weist ohnehin zurück, am angeblichen Bruch einer Geheimhaltungspflicht beteiligt gewesen zu sein. Es habe keine vertraglichen Vereinbarungen zwischen Kohl und Random House gegeben, also habe auch nichts gebrochen werden können.

Zudem sei das geforderte Schmerzensgeld viel zu hoch, schreiben die Anwälte von Schwan und dem Verlag. Sie verweisen auf den Fall von Jörg Kachelmann, der 635 000 Euro zugesprochen bekommen hatte, teilweise für Verletzungen der Intimsphäre. Solche Verletzungen würden "ungleich schwerer wiegen" als die "möglichen Bloßstellungen" durch die Veröffentlichung "unverblümter" Zitate eines Politikers. Die Anwälte von Schwan und Random House nennen es unverblümt. Die von Kohl unmoralisch.