14. Okt 2014

Verräter, überall nur Verräter

 Umstrittene Kohl-Enthüllungen: Verräter, überall nur Verräter

Eine Kolumne von Jan Fleischhauer

Kohl auf Frankfurter Buchmesse: Verrat war immer eine zentrale Kategorie seines DenkensZur Großansicht

AP/dpa

Kohl auf Frankfurter Buchmesse: Verrat war immer eine zentrale Kategorie seines Denkens

Sie wettern gegen "journalistische Grabräuberei": Die Allianz der Helmut-Kohl-Verteidiger ist so breit wie bunt. Klar springt die "Bild" dem Altkanzler bei. Aber auch die "Süddeutsche" und gar die "taz"... Was ist denn da los?

Wer hätte gedacht, dass Helmut Kohl unter deutschen Journalisten einmal so viel Sympathie genießen würde. Seit man lesen kann, was sein ehemaliger Ghostwriter an Boshaftigkeiten auf Band aufgenommen hat, reißt die Kette derjenigen nicht ab, die finden, dass dem Altkanzler großes Unrecht geschieht, wenn nun alle Welt erfährt, wie er über andere Politiker denkt und dachte. Von "journalistischer Grabräuberei" ist die Rede und davon, dass der Presse durch solche Indiskretionen insgesamt Schaden entstehe, weil sich niemand mehr auf den Schutz des vertraulichen Wortes verlassen könne.

Es ist zweifellos ein Geheimnisverrat ersten Ranges, wenn man das, was einem im guten Glauben gesagt wurde, später unter die Leute bringt, um einen Bestseller zu landen. Aber dass ausgerechnet Journalisten diesen Umstand beklagen, ist doch einigermaßen verblüffend. Wenn es eine Branche gibt, die davon lebt, dass Leute Dinge ausplaudern, die sie eigentlich für sich behalten sollten, dann das Mediengewerbe.Wer in solchen historischen Dimensionen angekommen ist wie Kohl, kann nur noch bedingt darauf vertrauen, dass das, was er privat äußert, auch privat bleibt. Die Äußerungen eines Staatsmanns seiner Größe sind immer von Belang, selbst wenn es sich um abfällige Bemerkungen handelt. Aus gutem Grund ist schon Richard Nixon mit dem Versuch gescheitert, die Mitschnitte von seinen Gesprächen im Weißen Haus sperren zu lassen. Von den "Nixon-Tapes" und den auf ihnen überlieferten Ausfällen zehren die Historiker noch heute.

Eine Machtmaschine, die alles niederwalzte

Noch überraschender als die Argumente, die bemüht werden, um den Vertrauensbruch zu geißeln, ist die Allianz, die sich zum Schutze des Altkanzlers zusammengefunden hat. Dass Kai Diekmann von der "Bild" sich für den greisen Kanzler in die Bresche wirft, verstehe ich. Das Verhältnis der beiden ging immer über das Journalistische hinaus. Kohl hat in Diekmann eine Art Ziehsohn gesehen, der "Bild"-Chefredakteur war einer der beiden Trauzeugen bei seiner zweiten Heirat.

Aber ich hätte nie erwartet, auch aufrechte Kohl-Verächter wie Heribert Prantl oder die strenge "taz"-Vorsteherin Ines Pohl unter den Verteidigern zu finden. Keine Ahnung, was die Kollegen zu ihrem Einsatz treibt. Vielleicht hoffen sie bei der Gelegenheit, in einer Art Last-Minute-Bekehrung doch noch auf die richtige Seite der Geschichte zu kommen.

Bei keinem Bundeskanzler lagen große Teile der Presse so daneben wie in der Beurteilung des Mannes, der Deutschland so lange regiert hat wie niemand sonst. Für die Linke und damit die tonangebende Meinungsmacht war er der Dicke, die Birne, der Trampel, ein in jeder Hinsicht unfähiger und überforderter Mensch, die Geschicke des Landes in den Händen zu halten. Als er 1982 an die Regierung kam, hielt man das für einen Unfall der Geschichte, den schon die nächste Wahl korrigieren würde. Als er ein ums andere Mal im Amt bestätigt wurde, war er die Machtmaschine, die alles niederwalzte, was sich ihm in den Weg stellte.

Wenn es gegen Kohl ging, stand in vorderster Front natürlich auch immer der SPIEGEL. Was die Kohlverachtung angeht, konnte es keiner mit den Kollegen aufnehmen, die dort in den Achtziger- und Neunzigerjahren für die politische Berichterstattung verantwortlich waren. Kohl selbst hat sich ebenfalls nicht lumpen lassen, muss man sagen. Legendär, wie er SPIEGEL-TV-Redakteure abfertigte, die ihn auf dem Weg zu seinem Wagen um einen Kommentar baten. Bei SPIEGEL TV haben sie aus den kurzen Auftritten zu seinem 80. Geburtstag einen eigenen Film geschnitten, den man sich immer wieder mit großem Genuss anschaut.

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SPIEGEL TV

In der Politik resultieren die größten Fehler aus Eitelkeit

Was viele Kritiker übersahen, wenn sie sich über Kohl lustig machten, war die Tatsache, dass er das Land viel eher verkörperte als sie in ihren Redaktionsetagen. Deshalb gewann er ja auch wider Erwarten eine Wahl nach der anderen. Was seine Beobachter als Bräsigkeit herabwürdigten, erschien dem Wahlvolk als Ausweis von Bodenständigkeit. Wo sie entsetzt den Kopf schüttelten, wenn er irgendwelchen Protestlern, die wild gegen ihn herumtobten, zurief, sie würden wohl alles bestreiten, nur nicht ihren Lebensunterhalt, lachten die meisten Deutschen zustimmend. Die Achillesferse der linken Intelligenz war schon immer ihre Volksferne, weshalb auch nur dort Populismus ein Schimpfwort ist - das hat niemand besser erkannt gehabt als Kohl.

Wenn man ihm einen Vorwurf machen kann, dann den, dass er sich den WDR-Redakteur Heribert Schwan ins Haus geholt hatte, um sich bei seinen Memoiren helfen zu lassen. Dass man einem Mann vom Rotfunk nicht trauen kann, hätte der alte Fuchs eigentlich wissen müssen; Verrat war schließlich immer eine zentrale Kategorie seines Denkens. Schwan hatte sich durch ein freundliches Filmporträt für den Job empfohlen. Die größten Fehler resultieren in der Politik nicht aus Nachlässigkeit oder Ignoranz, wie man sieht, sondern aus Eitelkeit.