05. Nov 2014

Ehepaar Kohl schlägt mit drastischen Worten zurück

 

SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE - "Stern"-Interview

Kohl erklärt seinen Ex-Biografen Schwan für "verrückt"

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Helmut Kohls früherer Biograf Heribert Schwan hat mit Auszügen aus Tonband-Protokollen des Altkanzlers einen Bestseller geschrieben. Nun schlägt das Ehepaar Kohl in einem "Stern"-Interview mit drastischen Worten zurück.

Berlin - Wenn Helmut Kohl früher auf Journalisten traf, die er nicht ausstehen konnte, wurde es oft derb. Dann polterte er los, blaffte zurück oder beleidigte. Diesen Helmut Kohl gibt es schon lange nicht mehr. Seitdem sich der Altkanzler vor sechseinhalb Jahren bei einem Sturz verletzte, ist er gebrechlich, sitzt im Rollstuhl und ist kaum noch zu verstehen.

Doch von der verbalen Schlagkraft, die einst von ihm ausging, ist zumindest in der Schriftform eines "Stern"-Interviews noch etwas zu erahnen. Das haben Kohl und seine zweite Ehefrau Maike Richter-Kohljetzt der Illustrierten gegeben. Es geht darin um vieles, um Europa, um das Zustandekommen seines neuen Buchs, um das Zusammenleben, um das Nichtverhältnis zu seinen beiden Söhnen, die er nicht mehr sehen will, wie er bekennt. Aber vor allem geht es um seinen früheren Biografen Heribert Schwan und dessen jüngstes Buch. Ihn greift Kohl in jenem altvertrauten Sound an, mit dem er einst seine Gegner belegte: "Der ist verrückt". Und auch sonst ist Kohl irgendwie der alte. Was Schwan über ihn schreibe, interessiere ihn nicht. "Dieser Mann ist mir völlig egal", sagt Kohl.

Kohl und Heribert Schwan - mit diesem Interview suchen der Altkanzler und seine Ehefrau Maike Richter-Kohl nicht nur ihre Sicht der Dinge zu erläutern. Es wird auch ein weiteres Kapitel aufgeschlagen in einem lange andauernden Streit um jene 600 Stunden Tonbandprotokolle, die der frühere WDR-Journalist zusammen mit dem Reporter und Autor Tilman Jens für das Buch "Vermächtnis" auswertete. Was Helmut Kohl wirklich dachte, ungeschönt, etwa über Angela Merkel, den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und andere Weggefährten und Gegner - all das findet sich in dem Band, der seit Wochen auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten steht.

Maike Richter-Kohl: Ein "Zerrbild"

Für Kohls Ehefrau wird in dem Buch ein "Zerrbild" gezeichnet. Das Ganze habe alle Elemente eines klassischen Dramas: "Liebe, Eitelkeit, Geld, Rache, Wut", sagt sie im "Stern".

Einst hatte Schwan dem Ex-Kanzler als Biograf gedient, drei Bände der Kohl-Memoiren verfasst und einen vierten vorbereitet. Doch nach der Eheschließung mit Maike Richter-Kohl, die sich aus Sicht Schwans immer mehr in die Arbeit an der Biografie einmischte, war es zum Bruch gekommen. "Es war mein Fehler, dass ich dem vertraut habe", sagt Kohl nun heute. Die Trennung von Schwan 2009 sei sein Wunsch gewesen. Kohl bestreitet, dass Schwan seine Tonbandaussagen hätte verwenden dürfen - Schwan wiederum beruft sich darauf, dass Kohl gewusst habe, dass er, Schwan, nach den Biografien eines Tages die Protokolle selbst habe auswerten wollen.

Vor Gericht hat Kohl bislang erfolglos versucht, das Buch aus dem Handel nehmen zu lassen. Seitdem versucht er, eine Reihe von Zitaten zu stoppen. Es ist ein bizarrer Kampf um das Erbe des Altkanzlers: Die Originaltonbänder musste Schwan in diesem Frühjahr nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Köln an Kohl zwar zurückgeben. Der Rechtsstreit selbst aber ist weiter anhängig, denn Schwan hat Revision gegen das Urteil eingelegt, nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Schwan selbst erklärte bei der Präsentation seines Buches, nicht nur Abschriften der stundenlangen Gespräche zu haben, sondern sich auch Kopien der Bänder gezogen zu haben.

Ehefrau nennt Schwan einen "Wichtigtuer"

Kohls Ehefrau geht im "Stern" Schwan hart an. "Einen unglaublichen Rechtsbruch" hält Maike Richter-Kohl dem Journalisten vor, "vor allem einen Diebstahl geistigen Eigentums". Hier habe sich ein Mensch auf das Vermächtnis von Kohl gesetzt und sich auch noch als sein Interpret bezeichnet, der dazu nicht berechtigt sei, sagt sie. Schwan, sagt sie, "ist einfach ein Wichtigtuer".

Das Interview ist bemerkenswert, nicht nur wegen der Attacken gegen Schwan. Das Ehepaar Kohl gab es ausgerechnet einer Zeitschrift, die der CDU-Politiker und Kanzler einst - zusammen mit dem SPIEGEL - zu den linksliberalen Giftspritzen der Republik zählte. Nun breiten die Kohls im "Stern" viele Details ihres Lebens aus - dass es Maike Richter-Kohl schwer gefallen sei, Berlin zu verlassen und nach Oggersheim zu ziehen, aber leicht, "bei meinem Mann zu bleiben." Über das Leben an der Seite eines behinderten Mannes, sagt sie: "Das Leben ist immer noch anstrengend, aber wir haben auch unglaublich viel Glück gehabt." Und sie wehrt sich über die Darstellung in einem der Bücher der beiden Kohl-Söhne, in der ihre einstige Berliner Wohnung als "Helmut-Kohl-Museum" beschrieben wurde. "Das ist alles totaler Unsinn. Und das ist beleidigend", sagt sie. Und Kohl sagt auf die Frage, ob er seine Söhne nicht sehen wolle: "Nein, das will ich nicht."

Kohl lobt Ungarns umstrittenen Premier

Kohl empfängt nach wie vor viele politische Prominenz in seinem Haus in Ludwigshafen, in dem er einst mit seiner ersten Frau Hannelore Kohl lebte. Dort empfing er auch den umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Für Kohl kein Problem: "Ich bleibe dabei. Er ist ein großer Europäer, er denkt und handelt europäisch." Auch für die Kanzlerin hat er, aus der Ferne, einen Ratschlag angesichts der Weltkrisen parat. "Dass man jetzt viel und miteinander reden muss. Man muss die Dinge im Gespräch lösen."

Diese Woche, als Kohl in Frankfurt am Main zusammen mit dem neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker sein neues Buch zur Lage Europas vorstellte (er sehe sich auch heute noch als Motor Europas, "ich sehe mich weiter in der Pflicht"), saß Maike Richter-Kohl auf dem Podium. Die 50-Jährige ist dem gebrechlichen 84-Jährigen Altkanzler nicht nur überlebenswichtige Stütze, sondern versteht sich zugleich auch als Hüterin des Kohl-Erbes. Testamentarisch wurde sie von Helmut Kohl als Alleinerbin seines historischen Nachlasses eingesetzt. Zu Befürchtungen, sie beanspruche damit auch "Deutungshoheit", sagt sie: "Ich tue mich schon mit dem Begriff Deutungshoheit schwer. Was soll das eigentlich heißen? Mir geht es darum, dass ich eine Sicht der Dinge habe und haben darf."

Und Kohl? Im Interview äußert er einen ganz intimen Wunsch. Was für ein Ziel er noch habe, wird er gefragt. "Ich sage dem lieben Gott jeden Tag: Ich will 90 werden."

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