02. Dez 2020

Guten Morgen Heribert Schwan,

Geburtstagsgrüße von Gabor Steingart

der Schatten des Helmut Kohl reicht bis in die Gegenwart. Sein politisches Vermächtnis, seine widersprüchliche Persönlichkeit und die rabiaten und in letzter Konsequenz illegalen Methoden des Machterhalts lassen die CDU bis heute nicht zur Ruhe kommen. Soeben sind die Versuche der CDU-Führung gescheitert, die Kohl-Witwe Maike Kohl-Richter für die Mitarbeit an der geplanten staatlichen Helmut-Kohl-Stiftung zu gewinnen.

Es reiben sich nicht nur ein politischer Kampfverband und eine Hinterbliebene, hier stoßen zwei sehr unterschiedliche Kohl-Bilder aufeinander. Auf der einen Seite das Bemühen um die historische Würdigung einer komplexen Führungsfigur. Auf der anderen Seite die Alleinerbin und Kohl-Witwe, die ihren Helmut zum Abschied in ein milderes Licht tauchen möchte. Die einen arbeiten mit der Lupe, die andere mit dem Weichzeichner. Der Staat schaut mit den Augen der Historiker, sie mit den Augen der Liebe. So können schnell zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten entstehen, die am Ende nur noch der Name verbindet.

In mehreren Telefonaten - darüber berichtete zuerst ThePioneer.de - hat Maike Kohl-Richter dem Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus klargemacht, dass seine Stiftung niemals die ihre wird. Das bedeutet: Dokumente, Schriftwechsel und Akten, die im Oggersheimer Keller der Familie Kohl lagern, bleiben vorerst dort. Die Witwe will nun eine eigene Stiftung, die am Wohnsitz des Verstorbenen zur Pilgerstätte der Kohl-Fans werden könnte. Der Wettstreit der Vermächtnisse ist eröffnet.

In aufklärerischer Absicht habe ich für den Morning Briefing Podcast Prof. Andreas Rödder angerufen, der mit Helmut Kohl zweierlei teilt: die CDU-Mitgliedschaft und den Beruf des Historikers. Über die aktuelle Auseinandersetzung sagt er:

Podcast

"Es ist ganz offenkundig, dass Maike Kohl-Richter das Bild von Helmut Kohl in der Öffentlichkeit mitgestalten möchte. Das ist aus ihrer Sicht auch legitim. Aus der Sicht der Öffentlichkeit ist es aber mindestens so legitim zu sagen: Nein, das kann nicht so mitgestaltet werden, sondern ist Teil der demokratischen Aushandlung auf dem öffentlichen Meinungsmarkt."

Auch über die schwierige Familiensituation der Kohls haben wir gesprochen. Hannelore Kohl nahm sich am 5. Juli 2001 im Kanzlerbungalow das Leben. Sohn Walter behauptet in einem Buch „Leben oder gelebt werden“, der Vater habe sein heiles Familienleben nur gespielt und für die Kinder nur Zeit gehabt, wenn ein Fotograf in der Nähe war. Kohl jr. schreibt:

Jeder Junge wünscht sich einen Vater, mit dem er gemeinsam die Welt erkunden kann, der mit ihm zelten geht oder Fußball spielen. Jeder wünscht sich einen Vater, der auch für ihn da ist. Ich habe es nicht geschafft, meinen Vater zu erreichen.

Rödder sagt, dass auch diese privaten Facetten zur politischen Würdigung gehören:

Wenn ein Politiker sein Privatleben zum Teil der Öffentlichkeit und seines politischen Auftritts macht, wird das natürlich auch öffentlich diskutiert. Das gilt auch für die Familie Kohl und die Fotos aus dem Urlaub.

Über den Politiker und Kanzler, der jahrelang vom „Spiegel“ als „Birne“ diffamiert wurde, bilanziert er:

Letztendlich ist er in dieser gewaltdurchtränkten Geschichte des 20.Jahrhunderts ein großer Zivilist gewesen. Er war kein Pazifist, aber er war ein Zivilist. Und insofern steht er ganz tief auch für die Geschichte der Bundesrepublik. Und ich würde sagen, in ihrem besten Sinne.

Die Geschichte des Politikers Helmut Kohl ist untrennbar mit der Spendenaffäre des Jahres 1999 verbunden als 2,1 Millionen Mark auf schwarzen Konten auftauchten. Kohl hatte - um die Partei finanziell besser zu stellen als die Konkurrenz - mit Geldern aus den Kassen der Industrie gearbeitet - am Finanzamt und am Parteienfinanzierungsgesetz vorbei. Ausgerechnet der Regierungschef ("Ich denke nicht daran, die Namen zu nennen“) stellte sich damit über Recht und Gesetz. Rödder sagt:

Für ihn war die Partei wichtiger als der Staat und letztendlich auch wichtiger als das Recht. Die Partei war die Machtbasis für Kohl und der parteipolitische Zweck hat die Mittel geheiligt.

Über die wichtigsten Eigenschaften eines Machtmenschen macht sich Andreas Rödder keine Illusion. Zu dem von der damaligen CDU-Generalsekretärin Angela Merkel verfassten Artikel in der „FAZ” (“Die Partei muss laufen lernen”), mit dem sie das Ende der Kohl-Ära besiegelte, sagt der Historiker:

Was Angela Merkel hier unter Beweis stellte, ist Killerinstinkt. Killerinstinkt, wie sie ihn brauchen, um in solchen Situationen ganz nach oben zu kommen. Und diesen Killerinstinkt hatte sie gemeinsam mit Helmut Kohl, der ja seinerseits kein Kind von Traurigkeit war. 

Fazit: Die Debatte über das Vermächtnis des Helmut Kohl mag für die Beteiligten nervenzerfetzend sein und überflüssig wirken. Aber das ist sie nicht. Wir blicken auf Helmut Kohl und sehen im Spiegel der Geschichte auch uns selbst.