27. Okt 2014

"Helmut Kohl sitzt in der Falle"

RP Online
Interview mit Kohl-Biograf Heribert Schwan
"Helmut Kohl sitzt in der Falle"
Interview mit Kohl-Biograf Heribert Schwan: "Helmut Kohl sitzt in der Falle"

Kohl-Biograf Heribert Schwan mit seinem umstrittenen Buch.FOTO: afp, OA/bb
 

Berlin. Der Kohl-Biograf Heribert Schwan übt im Interview mit unserer Redaktion scharfe Kritik an Kohls Ehefrau Maike Kohl-Richter. Sie herrsche über den Alt-Bundeskanzler. Auch frühere Vertraute blocke sie ab.
Von Gregor Mayntz

Sie haben viele hundert Seiten Kohl-Biografie geschrieben. Ihr neues  234-Seiten-Buch nennen Sie dagegen "Vermächtnis" – ist das nicht vermessen?

Schwan Natürlich handelt es sich nicht um das Vermächtnis Helmut Kohls im rechtlichen Sinne. Diesen Begriff hat aber niemand Geringeres als das Landgericht Köln geprägt, indem es, eine Einschätzung der Kohl-Anwälte aufgreifend,  feststellte: "Die Parteien sind sich einig, dass auf diesen Bändern zumindest teilweise das historische Vermächtnis" Helmut Kohls aufgezeichnet ist.  Kohls Anwälte selber also behaupten, dass die 200 Tonbänder mit 630 Stunden Gespräch sein "Vermächtnis" seien, das ich zurückgeben müsse. Ich habe darüber immer geschmunzelt. Aber das ist der Hintergrund für den Buchtitel über die Tonbandprotokolle.

630 Stunden – nach welchen Kriterien haben Sie daraus ausgewählt?

Schwan Unsere Hauptmotivation für das Buch als solches liegt in der Befürchtung, dass alles, was Helmut Kohl nachweislich  der Welt mitteilen wollte, von seiner Frau gestoppt wird.   Ich habe eine neue Klage vorliegen, wonach ich nun nach den Original-Tonbändern auch sämtliche Kopien und Abschriften herausgeben und mir jedes Zitieren verboten werden soll. Dem wollten mein Ko-Autor Tilman Jens und ich mit dem Buch zuvorkommen und wenigstens einige seiner Hauptbeweggründe vermitteln. Auf eine diese stützende Zitatauswahl haben wir uns im ersten Angang konzentriert.

Für die Pressefreiheit wäre es problematisch, wenn Staatsanwälte Journalisten ihre Notizen wegnähmen. Oder waren Sie nur ein Handlanger in Diensten Kohls?

Schwan Nein, das war ich nicht, und deshalb kränkt es mich, wenn ich nun von Kohls Anwälten als bloßer Mikrofon-Halter dargestellt werde. Ich habe doch in seinem Auftrag viele vertrauliche Dokumente ausgewertet, um daraus Fragen für unsere vielen Gespräche zu entwickeln. Er hat damit gerechnet, dass ich die Aufzeichnungen verwende, sonst hätte er nicht immer wieder, gesagt: "Jetzt schalte mal ab", wenn es um die nationale Sicherheit ging oder er bestimmte Namen nicht genannt haben wollte. Das waren aber immer nur Passagen von drei, zehn oder 15 Minuten, von allem anderen wollte er, dass die Öffentlichkeit seine Sicht erfährt.

Werden Sie gegen die Herausgabe der Bänder klagen?

Schwan Die ersten Instanzen haben Fehlurteile gefällt, rein formalistisch argumentiert und sich auf den Exoten-Paragraphen der wirklich zu anderen Zwecken geregelten sachenrechtlichen "Verarbeitung" gestützt. Ich will ein vernünftiges Urteil und die Original-Bänder der Konrad-Adenauer-Stiftung geben und je einen Satz Kopien dem Bundesarchiv  zur Verfügung stellen, Kohl geben und selbst behalten. Und deshalb gehen wir damit nun zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, um die Eigentumsfrage  an den Originalbändern zu klären.  Unsere Revision ist bereits angenommen.

Sie haben viele sprachlich sehr derbe Zitate verwendet, glauben Sie nicht, dass Kohl die bei einer Autorisierung noch hätte glätten wollen?

Schwan Es ging doch nie um eine Autorisierung. Kohl wollte mich als Ghostwriter, und er wollte auch meinen Namen partout nennen – gerade, weil ich ein linksliberaler Autor bin. Mit Rücksicht auf meinen Arbeitgeber, den WDR, habe ich darauf verzichtet, meine Nebentätigkeit als Memoirenschreiber öffentlich zu machen. Nie sollte ich nur aufschreiben, an was sich Kohl nach all den Jahren erinnert. Ich habe doch in seinem Auftrag  eine faktengesättigte Darstellung geliefert. Wir haben auch niemals über Vertraulichkeit gesprochen, und es gab wahrlich genug Gelegenheit, wenn es ihm denn damals wichtig gewesen wäre.  Er hat mir die 13 Ordner seiner Stasiakte gegeben und  mich alle Protokolle lesen lassen, die 30 Jahre gesperrt sind. Das geschah doch in der Erwartung, dass ich alles darlegen und interpretieren kann, wenn er einmal nicht mehr ist. Das alles gehört zu Kohls Vermächtnis.  Er hat zum Beispiel gesagt: "Alter, wenn Du mal keine Haare mehr hast, kannst Du veröffentlichen, was Du willst."

Und wie viele Haare haben Sie noch?

Schwan (lacht) Fast keine mehr.

War er einverstanden mit Ihren Texten?

Schwan Und wie. Er war begeistert, wie ich in seine Rolle geschlüpft bin und in der Ich-Form das Leben und Erleben des Kanzlers aufgeschrieben habe. Meine Frau meinte schon bald: "Mensch, Du schreibst, wie der Kohl redet."

Wann hatten Sie den letzten persönlichen Kontakt mit ihm?

Schwan Das war im Oktober 2008, neun Monate nach seinem schweren Sturz. Da brachte ich ihm die erste Hälfte des vierten Bandes. Er konnte kaum reden. Vorher hatten wir schon über einen fünften Band gesprochen, in dem er sein Leben zusammenfassen wollte, und es gab sogar schon die Idee für einen sechsten Band über internationale Aspekte. Darüber habe ich ihm ein Konzept vorgetragen. Er hat mir zum Abschied auf die Schulter geklopft und unter Tränen zu seiner Frau und zu mir gesagt: "Ich möchte, dass Ihr Euch versteht. Ich möchte, dass Ihr Euch die Hände reicht, wenn Ihr an meinem offenen Grab steht." Das hat mich sehr bewegt. Danach habe ich die Kündigung bekommen, alles zum Nachteil Helmut Kohls, denn entscheidende Dinge sind noch nicht aufgeschrieben worden.

Dann hat er Ihnen persönlich nie erklärt, warum er mit Ihnen gebrochen hat?

Schwan Nein. Denn er hat nie mit mir gebrochen. Glauben Sie im Ernst, dass Helmut Kohl mit seinem Fahrer Ecki Seeber gebrochen hat, der ihn sieben Millionen Kilometer chauffiert und ihm zwei Mal das Leben gerettet hat? Glauben Sie, dass er wirklich aus Dank Ecki vor die Tür setzen wollte? Oder die langjährige Haushälterin Hilde Seeber? Dahinter steckt allein seine Frau. Er sitzt in der Falle und kann nicht anders.

Sie kennen den Altkanzler so gut: Warum entscheidet sich einer wie er, seine gesamte Außendarstellung in die Hände seiner Frau zu legen?

Schwan Das ist mir völlig unverständlich. Wir haben oft auch über private Dinge gesprochen, über seine Ehe, über meine Ehe, und wenn er mich gefragt hätte, welche Frau ich ihm für seine alten Tage empfehlen könne, ich hätte ihm fünf Frauen genannt, aber nicht die.  Sie muss aus ihrer Sicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sein, als er am Boden lag. Jahrelang hat Kohl über die Frauen, ob im Kabinett oder privat, regelrecht geherrscht – und jetzt herrscht diese Frau über ihn. Es ist nicht zu glauben. Er muss sich abhängig fühlen von dieser Frau, die über alles bestimmt, was mit ihm zu tun hat. So viele Menschen, die für Helmut Kohl in all den Jahren immens wichtig waren, haben keine Chance mehr, mit ihm in Kontakt zu treten. Sie wacht über alles.

Die Gegenseite will jetzt 115 Stellen Ihres Buches schwärzen lassen. Erkennen Sie darin ein Muster?

Schwan Diesen Donnerstag wird darüber verhandelt. Nicht nur ich, auch viele der involvierten Juristen halten das Vorgehen im Detail für dilettantisch. Viele angebliche "Zitate" sind nicht länger als zwei Worte. Es sollen sogar Stellen geschwärzt werden, in denen wir erkennbar in eigenen Worten das Verhalten Kohls bewerten  oder aus einem Buch Richard von Weizsäckers zitieren. Außerdem: Weit mehr als 100.000 Bücher sind schon verkauft worden. Die sind in der Welt und können nicht mehr geschwärzt werden. Und die 115 Stellen werden nun ja auf Veranlassung der Kohl-Anwälte in aller Ausführlichkeit öffentlich auf ihre Relevanz erörtert. Ihre Authentizität wurde übrigens von den Anwälten nie in Frage gestellt.

Haben Sie noch mehr Material von dieser Brisanz?

Schwan Bisher habe ich weniger als ein Prozent verwendet.

Die Fragen stellte Gregor Mayntz.