07. Okt 2014

Kohls Schreiber gegen "BILD" und Maike

n-tv / 07.10.2014

POLITIK

Der Journalist Heribert Schwan und sein "Vermächtnis".
Der Journalist Heribert Schwan und sein "Vermächtnis".(Foto: dpa)

Streit ums wahre Erbe       Kohls Schreiber gegen "Bild" und Maike

Von Hubertus Volmer

Das neue Buch über den Altkanzler ist Helmut Kohl "unplugged". Doch ist es auch ein Vertrauensbruch? Der Autor ist sich keiner Schuld bewusst, im Gegenteil: Heribert Schwan sieht sich als Kohls wahrer Nachlassverwalter - und als Opfer von Maike Kohl-Richter.

Die zentrale Frage stellt Moderator Fritz Pleitgen gleich selbst: Wie lässt sich dieses Buch über Helmut Kohl rechtfertigen? Denn so viel scheint klar: "Die Kohl-Protokolle" sind ein Vertrauensbruch.

Oder nicht? In den Jahren 2001 und 2002 hatte der Autor Heribert Schwan engsten Zugang zum Altkanzler. Er war sein Ghostwriter, er war es, der die ersten drei Bände von Kohls Memoiren niederschrieb. Grundlage für die Mammutaufgabe waren Tonbänder, die Schwan in zahlreichen Interviewsitzungen im Kohl'schen Wohnhaus in Oggersheim aufgenommen hatte. 630 Stunden Material auf 200 Kassetten kamen so zusammen. Die Frage ist: Durfte Schwan dieses Material ohne Kohls Zustimmung benutzen?

"Vermächtnis" hat Schwan sein Buch genannt, und genau darum geht es. Es geht darum, wer die Deutungshoheit über Kohls Erbe hat. Schwan, der sich bei diesem Buch von dem Journalisten Tilman Jens helfen ließ, sieht sich als wahrer Nachlassverwalter. Um die Bänder führt er einen Rechtsstreit gegen Kohl, doch der 84-Jährige ist für ihn nicht der Gegner. Das ist Maike Kohl-Richter. Kohls zweite Frau.

Nie sei er sich bei den Gesprächen im Hobbykeller in Oggersheim wie ein Arzt oder wie ein Beichtvater vorgekommen, rechtfertigt sich Schwan, nie habe er eine "Schweigepflichtserklärung" unterzeichnet. Kohl selbst habe immer wieder betont, dass Schwan ja ein "Volksschriftsteller" sei - das war Kohls herablassend-wohlwollende Bezeichnung für den Mann, dem er sich öffnete wie wohl kaum einem anderen Menschen.

Auf die Frage der "Bild"-Zeitung hat der Justiziar nur gewartet

Aber glaubt Schwan, dass Kohl die vielen Zitate im Buch autorisiert hätte, will Pleitgen wissen, der als ehemaliger WDR-Intendant in den fraglichen Jahren Schwans Chef war. Jetzt führt er durch die Pressekonferenz, bei der Schwan und Jens ihr Werk vorstellen, das sie im Vorwort sehr zutreffend "Helmut Kohl unplugged" nennen. "Ich würde Helmut Kohl nicht fragen, was ich schreiben darf; das kommt mir gar nicht in den Sinn", gibt Schwan zur Antwort.

Verlagsjustiziar Rainer Dresen lieferte sich einen Wortwechsel mit zwei "Bild"-Mitarbeitern.
Verlagsjustiziar Rainer Dresen lieferte sich einen Wortwechsel mit zwei "Bild"-Mitarbeitern.(Foto: imago/Metodi Popow)

Die Pressekonferenz ist gut besucht, die "Bild"-Zeitung hat gleich zwei Vertreter geschickt. Das Blatt hat ein besonderes Verhältnis zu Helmut Kohl: Chefredakteur Kai Diekmann war Trauzeuge, als der Altkanzler und Maike Richter sich das Ja-Wort gaben. Diekmanns Mitarbeiter scheinen Schwans Buch für Verrat zu halten - mindestens. Der Chef des "Bild"-Parlamentsbüros fragt, wie der Verlag rechtfertige, sich am "Diebstahl" von geistigem Eigentum zu beteiligen. Auf diese Fragen und auf den Fragesteller scheint der eigens angereiste Verlagsjustiziar nur gewartet zu haben. "Ich finde es wunderbar, dass sich die 'Bild'-Zeitung an der Verteidigung von geistigem Eigentum beteiligt", sagt Rainer Dresen mit sarkastischem Unterton.

Es sei doch die "Bild"-Zeitung gewesen, die sich nicht gescheut habe, intimste Details aus dem Privatleben des früheren brandenburgischen Innenministers Rainer Speer zu veröffentlichen. Um diese Geschichte zu erzählen, habe das Blatt sogar aus E-Mails zitiert, die es (wahrscheinlich) von einem Laptop hatte, der Speer zuvor gestohlen worden war. Das alles ist vier Jahre her und doch brandaktuell. Erst vor sieben Tagen entschied der Bundesgerichtshof, die "Bild"-Zeitung habe korrekt gehandelt: Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wiege schwerer als Speers Interesse am Schutz seiner Persönlichkeit.

Auch im Fall Kohl gegen Schwan wird der Bundesgerichtshof das letzte Wort haben. Vorläufig gilt ein Urteil des Landgerichts Köln vom Dezember 2013, das Schwan verpflichtet hatte, seine Tonbandkassetten einem Gerichtsvollzieher auszuhändigen. Dresen liest das Urteil mehrfach vor: "Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger sämtliche Tonbandaufzeichnungen, auf denen die Stimme des Klägers zu hören ist und die in den Jahren 2001 und 2002 vom Beklagten aufgenommen wurden, an den Kläger herauszugeben." Seltsamerweise ist in dem Urteil weder von Kopien noch von Aufzeichnungen die Rede. Die "Kohl-Seite" habe nie entsprechende Anträge gestellt, sagt Dresen. Auch gegen das Buch sei keine einstweilige Verfügung erwirkt worden. Nur ein freundlich formuliertes Fax hätten Kohls Anwälte geschickt, in dem sie erklärt hätten, ihrer Rechtsauffassung nach habe Schwan nicht über die Protokolle verfügen dürfen. Praktische Folgen: bislang keine.

"Das kannste später mal schreiben"

Es wäre interessant, zu erfahren, wie Kohl die Sache sieht. Doch seine Frau schirmt ihn bekanntlich ab; sie ist der Grund, warum Schwan seit 2008 keinen Zutritt mehr zum Haus des Altkanzlers hat. 2008 war das Jahr, in dem Kohl den Unfall hatte, der ein Schädel-Hirn-Trauma bei ihm zur Folge hatte; das Jahr, in dem Kohl seine Lebensgefährtin Maike Richter in einer Reha-Klinik heiratete; auch das Jahr, in dem viele Menschen aus Kohls engstem Umfeld auf einmal in Ungnade fielen. Dazu gehörte nicht nur sein "Schreiber", wie Schwan sich nennt, dazu gehörten auch Kohls Söhne sowie sein langjähriger Fahrer Ecki Seeber - "sein bester Freund", wie Schwan sagt - und dessen Frau, Kohls Haushälterin.

Hier schwingt Verbitterung mit - nicht mit Kohl, sondern mit "Maike", die Schwan in seinem Buch "ein solches Weib" nennt, ahnungslos und dabei rechthaberisch, nicht konservativ, sondern "geradezu deutschnational gesonnen". Sein Buch, in dem er Kohl so viel von "Verrätern" reden lässt, empfindet Schwan keineswegs als Verrat. Kohl habe ihm vertraut, er habe ihm sogar seine Stasi-Akten zugänglich gemacht. Der Plan des Altkanzlers sei gewesen, "dass ich, wenn er nicht mehr lebt, vielleicht mal die Deutungshoheit für ihn übernehmen kann". Bei heiklen Punkten habe Kohl immer gesagt: "Das kannste später mal schreiben." Gemeint habe er damit: nach dem vierten und letzten Band der "Erinnerungen". Wenn es ihm heute möglich wäre, unter vier Augen mit Kohl über das aktuelle Buch zu sprechen, glaubt Schwan, dann würde der ihm auf die Schulter klopfen und sagen: "Volksschriftsteller - Gratulation!"

Doch das ist nicht möglich - da ist Maike Kohl-Richter vor, die ebenfalls die Deutungshoheit über Kohl beansprucht. In diesem Punkt vertraut sie nicht einmal der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung; Akten aus Kohls politischem Nachlass hat der Altkanzler 2010 von dort wieder abholen lassen. Begründung: Er brauche sie für Band vier seiner "Erinnerungen".

Bislang ist dieser Band nicht erschienen; bei der Arbeit daran fiel Schwan in Ungnade. Die 630 Stunden Material von den Kellergesprächen hat er noch, denn "natürlich" habe er eine Kopie machen lassen. Ob er Kopien der Stasi-Akten hat, die außer ihm niemand einsehen durfte, verrät Schwan nicht. Wird es weitere Bücher von ihm über Kohl geben? "On verra. Man wird sehen."