03. Sep 2020

Maike Kohl-Richter und Helmut Kohl | Sein Leben, ihr Leben

Beitrag auf spiegel.de vom 10.02.2018

Maike Kohl-Richter will eine zentrale Rolle beim Gedenken an ihren verstorbenen Mann Helmut spielen. In einem Rechtsstreit wird deutlich, wie sie sein Wirken verklärt.

Maike Kohl-Richter, 53, drängt nicht in die Öffentlichkeit; selten gibt die Witwe Helmut Kohls Interviews. Dann allerdings erhebt sie Anspruch auf die "zentrale Rolle" beim Gedenken an den Altkanzler. Schließlich habe dieser sie zur "legitimen Alleinerbin und Ansprechpartnerin" bestimmt, wenn es um sein Lebenswerk gehe, erklärte sie kürzlich im "Stern". Nur: Was bedeutet das?

Gut sieben Monate sind seit dem Ableben des CDU-Granden vergangen, und immer noch ist unklar, wie sich seine zweite Ehefrau das Gedenken an Kohl vorstellt. Ihr gehören der umfangreiche Nachlass und das Haus in Oggersheim, das zu einem historischen Ort geworden ist. Als Zeitzeugin kann sie aus den letzten Jahren des Verstorbenen berichten wie kein anderer. Kohl-Forscher werden schwerlich an ihr vorbeikommen.

Aber hält sie unabhängige Aufklärung aus - etwa im Rahmen einer Bundesstiftung, wie sie der Bundestag für Kohls Vorgänger Helmut Schmidt beschlossen hat? Oder geht es ihr nur darum, den Ruhm ihres Mannes zu mehren? Liebevolle Nähe verträgt sich schließlich selten mit kritischer Distanz.

Rückschlüsse auf die Gedankenwelt der verschwiegenen Witwe, die ihren Bungalow mit etlichen großformatigen Kohl-Porträts dekoriert hat, ergeben sich nun erstmals aus einem Rechtsstreit Kohl-Richters gegen zwei Journalisten und einen Verlag.

Zwar hat ihr Anwalt Thomas Hermes die Schriftsätze unterzeichnet. Doch zahlreiche emotionale Passagen in den Dokumenten legen die Vermutung nahe, dass Kohl-Richter dem Juristen die Hand geführt hat. In jedem Fall hat sie Hermes gewähren lassen; die Schriftsätze lassen sich schon deshalb ihr zurechnen.

Vom Bemühen um Objektivität ist darin nichts zu spüren. Die Christdemokratin verweist vielmehr auf den "Kampf um die Deutungshoheit". Ob als Mensch, Kanzler der Einheit oder Vater des Euro - der historische Rang und die Qualitäten Kohls werden teilweise bis ins Groteske übersteigert.

Wörtlich heißt es im Schriftsatz: "Helmut Kohl ist nur als lebendige natürliche Person verstorben, aber als absolute Person der Zeitgeschichte ist er unsterblich."

Auf die Wiedervereinigung hat Kohl demzufolge bereits viele Jahre vor dem Mauerfall "politisch hingearbeitet". Dabei räumte der Altkanzler in seinen Memoiren offen ein, er habe "lange Zeit" nicht gewusst, ob er die Einheit überhaupt noch erleben werde.

Ausdrücklich warnt Kohl-Richter davor, die friedliche Revolution in der DDR überzubewerten. Die mutigen Ostdeutschen, die gegen das SED-Regime aufstanden, seien ihrem Mann "hilfreich" gewesen - mehr aber auch nicht.

Wer anderes behaupte, suggeriere "den Menschen weltweit, dass Demokratie, Rechtsstaat und Wohlstand sich über die Revolution auf der Straße erkämpfen" ließen. Für die offenbar obrigkeitsgläubige Kohl-Ehefrau ist eine solche Sicht ein "Irrtum". Der Arabische Frühling habe das ja bewiesen, lautet ihr krudes Argument.

Nach der Lesart Kohl-Richters hatte ihr Mann nicht nur wesentlich zum Ende der DDR beigetragen, sondern er hatte auch "entscheidenden Anteil" daran, dass in Osteuropa Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat "auf der Basis des christlich-abendländischen Menschenbildes" Einzug hielten. Polen, Tschechen oder Rumänen werden diese These mit Erstaunen lesen, schließlich haben sie ihre kommunistischen Regime aus eigener Kraft gestürzt.

Ein anderes Beispiel für die seltsame Sicht der Witwe findet sich in Passagen über die europäische Integration. Kohl-Richter hat in den Neunzigerjahren in der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts gearbeitet und ist dort ihrem späteren Mann begegnet. Der weitere Zusammenschluss Europas war das wichtigste Thema.

Ernsthaft behauptet die promovierte Volkswirtin nun, junge Menschen heute würden es "ganz wesentlich mit Helmut Kohl und seinem Lebenswerk verbinden", dass sie in der EU reisen, mit dem Euro bezahlen, innerhalb Europas studieren und arbeiten könnten.

Dabei endete die Kanzlerschaft Kohls, der unbestritten viel für Europa erreicht hat, 1998. Schwer zu glauben, dass Italiener, Franzosen oder Niederländer unter dreißig in Dankbarkeit des Pfälzers gedenken. Es wäre bemerkenswert, wenn viele seinen Namen schon einmal gehört hätten.

Menschliche oder politische Schwäche hat der "Unsterbliche" den Schriftsätzen zufolge offenbar nicht gezeigt. Über die Neigung des Patriarchen zu Kraftausdrücken ("hinterfotzig", "am Arsch des Propheten") heißt es beschönigend, das sei "etwas derbe", aber nicht böse gemeint. Sondern "eben typisch pfälzisch".

Überhaupt sei Kohl nicht etwa ein rachsüchtiger und verbitterter Mann gewesen, sondern "bis in den Tod ein vor allem versöhnlicher Mensch mit Freude am Leben und Humor".

Damit stellt sich allerdings die Frage, warum er zu Lebzeiten weder mit seinen Söhnen noch mit langjährigen Wegbegleitern und Rivalen wie Heiner Geißler, Norbert Blüm oder Richard von Weizsäcker Frieden schloss, sondern in seinen "Erinnerungen" und auch sonst noch ordentlich nachkartete.

Nicht einmal zur Spendenaffäre findet sich ein Hauch von Kritik, obwohl diese bis heute einen großen Schatten auf die Kanzlerschaft wirft, weil Kohl mit illegalen Zuwendungen den demokratischen Meinungsbildungsprozess zu manipulieren suchte. Kohl-Richter wertet das Bestreben, die Vorgänge aufzuklären, als Versuch, ihren Gatten "als Person zu kriminalisieren, um auf diese Weise seine 16-jährige Kanzlerschaft zu diskreditieren".

Wer sich eine unabhängige Kohl-Forschung wünscht, kann nur hoffen, dass die Witwe bewusst übertreibt, um vor Gericht zu überzeugen. In ihrem Rechtsstreit geht es schließlich um Millionen.

Der Journalist Heribert Schwan - einst Ghostwriter Kohls - hatte diesen in den Jahren 2001 und 2002 über 600 Stunden lang interviewt. Die Aufnahmen dienten als Basis für Kohls Memoiren. Doch 2014 machte Schwan zusammen mit einem Kollegen daraus dann ein eigenes Buch, das zum Bestseller wurde. Kohl klagte noch zu Lebzeiten dagegen. Autoren und Verlag wurden wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu einer Million Euro Entschädigung verurteilt.

Beide Seiten haben Berufung eingelegt; die einen hoffen auf eine Abwehr der Klage, weil Kohl verstorben ist. Kohl-Richter hingegen verlangt fünf Millionen Euro. Inzwischen hat sie auch den SPIEGEL verklagt, weil dieser ebenfalls aus den Tonbändern zitierte.

Am kommenden Donnerstag wird nun vor dem Oberlandesgericht Köln verhandelt.

Sollte Kohl-Richter sich danach ernsthaft für eine seriöse Aufarbeitung der Kohl-Ära interessieren, könnte sie sich an einer anderen Kanzlergattin orientieren: der Witwe Willy Brandts, der in den frühen Siebzigerjahren regiert hatte.

Auch Brigitte Seebacher vertritt eine Sicht auf ihren verstorbenen Mann, die viele nicht teilen. Dennoch öffnete sie dessen Nachlass für die Forschung. Wie sie Willy Brandt sieht, kann man trotzdem nachlesen. Sie hat eine Biografie über ihn geschrieben.