16. Nov 2022

Mit den Augen der Anderen | Buchpräsentation im Bistro Verde

 

Am 16. November um 19:00 Uhr präsentierte Heribert Schwan sein neues Werk „Mit den Augen der anderen“, das er zusammen mit seinem Freund und Kollegen Rolf Steininger soeben im Innsbrucker Studien-Verlag herausgegeben hatte. Im Köln-Rodenkirchener „Bistro Verde in der alten Schmiede“ waren über 60 Gäste seiner Einladung gefolgt.

Herzlich willkommen meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.

Gestatten Sie mir zunächst ein paar Worte zu einigen von mir persönlich eingeladenen Gäste heute Abend. Diese illustre Gesellschaft besteht vornehmlich aus Menschen, mit denen ich irgendetwas oder die mit mir etwas zu tun hatten oder haben. Das sind einmal enge Freundinnen und Freunde, die mich schon lange begleiten. Darunter Tennis- und FC-Fans ebenso wie Philharmonie- Abonnenten, denen ich regelmäßig begegne. Willkommen auch Nachbarn, darunter vor allem regelmäßige Mitschwimmerinnen und Mitschwimmer.

Ebenso herzlich begrüße ich die IT-Experten Dietmar Adolf und Tobias Eckholt. Wie sehr ich gerade auf sie angewiesen bin, hat sich in letzter Zeit besonders gezeigt.

Herzlich begrüße ich den Kölner Facharzt für Innere Medizin Dr. Martin Diekmann und seine Frau Dr. Alexandra Diekmann, die eine Praxis für Kinderheilkunde und Jugendmedizin leitet.

Willkommen auch Dr. Ulrich Reinwand, Facharzt für Diagnostische Radiologie und Leiter der Radiologie 360° in Rodenkirchen. Wie wäre ich mit meinem Schreiben weitergekommen, wenn ich nicht auf seine Kompetenz hätte vertrauen können.

Zu ihm vermittelt hatte mich mein langjähriger Physiotherapeut Alexander Finzel von der Physiosport in Rodenkirchen, Deutz und Mülheim, von dem ich im Vorwort des letzten Buchs schrieb, dass er wichtiger für mich gewesen sei als der Lektor.

Die medizinische Versorgung ist im Ernstfall an diesem Abend in vielfältiger Weise gesichert.

Herzlich willkommen auch Helga Lüngen, Geschäftsführerin der Hannelore Kohl-Stiftung in Bonn. Dazu wird sie nach meinem Beitrag  einige Erläuterungen geben. Im Übrigen habe ich zehn Exemplare des Buches „Mit den Augen der Anderen“ vom besorgt. Der Verkauf von 36 € je Exemplar geht direkt an die Hannelore Kohl-Stiftung. Dort rechts steht die Spendenbox.

Und zum Schluss möchte ich das befreundete Ehepaar Hilde und Ecki Seeber aus Ludwigshafen begrüßen. Sie waren jahrzehntelang mit Hannelore und Helmut Kohl auf das Engste verbunden. Hilde Seeber als Haushälterin und enge Freundin von Hannelore Kohl war es auch, die Hannelore Kohl nach ihrem Selbstmord fand und den Altkanzler und die Polizei alarmierte.

Ecki Seeber war mehr als Cheffahrer und Sicherheitsmann. Er hatte das volle Vertrauen von Helmut Kohl, war Quartiermeister und vieles mehr. Er ist sicherlich der größte Geheimnisträger der Republik in der Ära Kohl und wurde in skandalöser Weise durch neue Frau von seinem Chef getrennt. Während meiner achtjährigen Ghostwriterzeit waren Hilde und Ecki Seeber meine Herbergseltern. Ihnen bin ich zu großem Dank verpflichtet.

Herzlich willkommen auch  alle an diesem Thema interessierten Kölner, die über das Bistro Verde hierher gefunden haben.

Schließlich begrüße ich Rainer Dresen, Justiziar der Verlagsgruppe Random House. Er wird in seiner kurzen Laudatio auch über den heutigen Prozesstag am OLG-Köln informieren

Alles begann mit Richard von Weizsäcker.  Als Redakteur und  Moderator beim Kölner Deutschlandfunk seit 1974 stand die Politik der Bonner Regierung im Mittelpunkt meiner täglichen journalistischen Arbeit mit besonderer Ausrichtung auf die DDR. Die Brüder und Schwestern im zweiten deutschen Staat waren unsere treuesten Hörerinnen und Hörer. Zuvor hatte ich beim Saarländischen Rundfunk in Saarbrücken und beim Südwestfunk in Baden-Baden das Handwerk des Radio- und Fernsehjournalisten gelernt. So konnte  es für mich nicht angehen, fortan auf das Fernsehmachen zu verzichten.

Als sich der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker anschickte, für das Amt des Bundespräsidenten 1984 zu kandidieren, schlug ich der Dokumentationsabteilung des WDR ein Porträt des künftigen ersten Mannes in der Bonner Republik vor. Es dauerte nicht lange, und ich machte mich an Wochenenden und an freien Tagen auf Drehreise. Pünktlich zu seiner Wahl von der Bundesversammlung zum fünften Präsidenten der Bundesrepublik  1984 strahlte die ARD meinen Film unter dem Titel „Richard von Weizsäcker – Profile eines Mannes“ nach der Tagesschau aus.

Der große Erfolg, gemessen an der Einschaltquote der Zuschauerinnen und Zuschauer, lag wesentlich an der äußerst positiven Erscheinung, wie für das Medium Fernsehen gemacht, an der besonderen politischen Persönlichkeit.

Auf die Idee, auch eine Biografie über den weißhaarigen Adelsmann zu schreiben, war ich gleich nach der Sendung gekommen und fand ohne große Suche einen Düsseldorfer Verlag. Fortan gab es zu fast allen weiteren Politiker-Dokumentationen ein Begleitbuch, das ich  zusammen mit einem WDR-Kollegen verfasste. Nicht alle Politiker-Biografien wurden Bestseller. Die schwächsten Verkaufszahlen erzielten wir mit den Büchern über Johannes Rau, Norbert Blüm und Lothar Späth. Ob Filmporträts oder Buchbiografien: Wir hatten eine besondere Buchform entwickelt, die einer Fernsehdokumentation glich. Um die Gesichter, Überzeugungen, Farben und Nuancen der Porträtierten schildern zu können, wurden zahlreiche Persönlichkeiten gebeten - Freunde, Gegner, ehemalige Mitarbeitern, frühere Kommilitonen und viele mehr - jene Politiker zu beschreiben. Subjektive Erwägungen, biografische Skizzen und individuelle Erfahrungen halfen dabei mit, die vielschichtigen Komponenten einer Persönlichkeit dokumentarisch auszudeuten. So bot jeder Film und jedes Buch ein Stück erlebter und erzählter deutscher Zeitgeschichte.

Die erfolgreichsten Bücher – und das ließ sich nur über die Verkaufszahlen festmachen – wurden ab und an aktualisiert. Dabei stand Richard von Weizsäcker nach zehn Amtsjahren als Bundespräsident jeweils an der Spitze. Auch die Kohl- und Lafontaine-Biografien waren ebenso erfolgreich wie das Buch über Bundespräsident Roman Herzog.

Die Bonner Republik mit ihren wichtigsten Repräsentanten blieb mein Thema, blieb mein Fernsehstoff.

Unterdessen war ich längst vom Deutschlandfunk zum WDR Fernsehen gewechselt und konnte mir meine Themen auswählen. So meldete ich bereits Mitte 2004 im geschichtlichen Arbeitskreis der ARD ein Projekt an, das für das Jubiläumsjahr 2009 fest eingeplant wurde. Zum 60. Jahrestag der Bonner Republik ging es um eine zeitgeschichtliche Reihe über die Anfänge der Bundesrepublik von 1949 unter Bundeskanzler Adenauer, über die Kanzlerschaft Ludwig Erhards, Kurt Georg Kiesingers, Willy Brandts, Helmut Schmidts bis zum Ende der Kanzlerschaft Helmut Kohls 1998.

Die Dreharbeiten begannen Mitte 2007 und zwar auf dem Format HDTV, um ein wirkliches Hochglanzprodukt entstehen zu lassen. Im Mittelpunkt standen Zeitzeugengespräche aus dem In- und Ausland, die die Geschichte der 60-jährigen Bonner Republik hautnah miterlebt und maßgeblich mitgestaltet hatten.

Angelegt war die Reihe auf elf 45- Minuten-Dokumentationen. Dafür drehte ich rund exakt 98 Zeitzeugengespräche mit unterschiedlichen Längen.

Mittlerweile wurde das gesamte Filmmaterial dieser Reihe vom WDR digitalisiert und wird noch für manche künftige Fernsehdokumentation über die deutsche Nachkriegsgeschichte sehr nützlich sein.

Allein wegen der Länge von 16 Jahren war die Kanzlerschaft von Helmut Kohl ein besonderer Schwerpunkt. Der Beginn seiner Ära begann vor 40 Jahren am 1. Oktober 1982.

Für mich und meinen Freund und Co-Autor Rolf Steininger Anlass genug, die wichtigsten Interviews zur Kohl-Zeit jetzt in Buchform vorzulegen. Wir wählten 36 Gespräche aus. Sie vermitteln aus unserer Sicht ein besonderes Bild vom Kanzler der Einheit  und Ehrenbürger Europas. Der WDR überließ uns die Buchrechte.

Der Studienverlag in Innsbruck, Haus-Verlag meines Historikerkollegen Rolf Steininger, fand Gefallen an diesem Buchprojekt und druckte die Interviews ungekürzt ab. Diese 36 Zeitzeugen beurteilen unter den unterschiedlichen Blickwinkeln seine Politik, seine Stärken und Schwächen, verpasste Chancen und gelungene politische Entscheidungen.

Die Interviews entstanden allesamt zu einer Zeit, als Kohls Ära bereits zehn Jahre Vergangenheit war. Diese Distanz war wichtig und ist an vielen Stellen spürbar. Der Abstand kann den Wert von mündlichen Überlieferungen steigern.

Lassen Sie sich in die Achtzigerjahre  entführen. Zur Erinnerung ganz kurz das, was in den 16 Jahren Kohl-Regierung geschah:

In seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1982, also vor ziemlich genau 40 Jahren, nannte Kohl drei Grundelemente seiner künftigen Politik: Trotz real existierender Teilung sollte die Erinnerung an die Nationalgeschichte gesamtdeutsche Konturen schärfen und das Thema „Nation“ eine orientierende und integrierende Wirkung gewinnen.

Die beiden anderen Elemente lauteten: Europäische Integration, USA als Garant der westlichen Werteordnung und der äußeren Sicherheit.

Die Regierung Kohl/Genscher bekannte sich unverzüglich zum NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 und bekräftigte nachdrücklich, dass die Mittelstreckenraketen in Europa stationiert würden, falls die Verhandlungen mit der Sowjetunion zu keinem Ergebnis führen sollten.

Das Verhältnis zu Frankreich war ein besonderes Anliegen des Kanzlers. Symbolisch dafür war ein Treffen mit Präsident François Mitterrand im September 1984 auf dem Schlachtfeld von Verdun. Nach den Bundestagswahlen im Januar 1987 konnte die Regierungskoalition aus Unionsparteien und FDP ihre Arbeit fortsetzen.

Im September 1987 besuchte Erich Honecker die Bundesrepublik. Dieser offizielle Besuch war der symbolische Höhepunkt der gegenseitigen Anerkennung der beiden deutschen Staaten und ein riesiger Erfolg für die DDR. In der Erkenntnis, dass die SED Führung reformunfähig war, fassten immer mehr Bürger den Entschluss, ihr Land zu verlassen.

Im Sommer 1989 stellten 120.000 einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik. Von jenen, denen die Ausreise verweigert wurde, suchten etliche Zuflucht in der Ständigen Vertretung Bonns in Ost-Berlin und in den westdeutschen Botschaften in Warschau, Budapest und Prag. F

Fast gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für die Feiern zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung. Ehrengast bei den Feierlichkeiten war Michail Gorbatschow.

Erich Honecker wurde im Oktober abgesetzt und sein Nachfolger wurde Egon Krenz. Bei einer Großdemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 forderten Millionen von Menschen freie Wahlen, Meinungsfreiheit, die Abschaffung des Machtmonopols der SED, den Rücktritt der Regierung und die Zulassung von Oppositionsparteien. Fünf Tage später fiel die Mauer.

Anfang 1990 setzte sich in Moskau mehr und mehr die Überzeugung durch, dass die deutsche Einheit unvermeidbar sein werde. In dieser Situation lief in Bonn bereits alles auf das Angebot einer Wirtschafts-und Währungsunion mit der DDR hinaus, obwohl es gerade in diesem Punkt in der Bonner Regierungskoalition  schwere Bedenken gab.

Im Februar 1990 dann das entscheidende Treffen von Kohl mit Gorbatschow in Moskau, bei dem Gorbatschow der Einheit zustimmte.

Bei der Volkskammerwahl im März 1990 waren rund 12 Millionen DDR-Bürger in freier, allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahl aufgerufen, 400 Volkskammerabgeordnete zu wählen. Mit großer Mehrheit wählten die Abgeordneten Lothar de Maizière zum Ministerpräsidenten der DDR. Bei dieser Wahl hatte es letztlich nur noch ein Thema gegeben, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen: die rasche Wiedervereinigung.

Jetzt stand die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland für die Bundesregierung in einem unauflösbaren Zusammenhang mit dem Abbau des Sozialismus und der Einführung der Marktwirtschaft in der DDR.

Diese Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion trat am 1. Juli 1990 in Kraft . Faktisch erfolgte damit eine Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik. Alle sozialistischen Vorschriften verloren ihre Gültigkeit.

Zum ersten Mal hatten die Menschen in der DDR D-Mark in der Hand. Mit Annahme des sogenannten Einigungsvertrags beschloss die Volkskammer als Beitrittstermin den 3. Oktober 1990. An jenem Tag um Mitternacht – nur vier Tage vor dem 41. Jahrestag der DDR -hörte die DDR auf, als Staat zu existieren und wurde Teil der Bundesrepublik Deutschland.

In der sogenannten Zwei- plus - Vier - Runde wurden die außenpolitischen Weichen für die  Wiedervereinigung gestellt . Dieser 2 + 4 - Vertrag wurde am 12. September 1990 zum Abschluss der Verhandlungen in Moskau unterzeichnet. Die Vier Mächte verzichteten auf ihre Sonderrechte in Deutschland und Berlin, die seit 1945 fortbestanden hatten.  

Die Souveränität Deutschlands wurde ohne jede Einschränkung wiederhergestellt. Im Einvernehmen mit den Vier Mächten konnten die beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 ihre staatliche Vereinigung vollziehen.

Am 2. Dezember 1990 fanden die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen statt. Die Koalitionsparteien von CDU/CSU und FDP errangen eine starke Mehrheit im Bonner Parlament.

Am 31 August 1994 ging die über 49 Jahre dauernde sowjetisch- russische Militärpräsenz in Deutschland zu Ende.

Mühsamer als erwartet entwickelte sich dann die innere Vereinigung, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Die Privatisierung einer ganzen Staatswirtschaft war ein völlig neuer Vorgang und ohne Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte.

Die Treuhandanstalt sollte die Privatisierung, die Sanierung und die sozialverträgliche Schließung von Unternehmen durchführen. Von Anfang an war das  zum Scheitern verurteilt. Die Wirtschaft in der ehemaligen DDR war nicht mehr zu retten, die Substanz längst verbraucht.

Massenentlassungen und Firmenstilllegungen häuften sich. Ende 1994 wurde die Treuhandanstalt aufgelöst. Die wirtschaftlichen Probleme in der ehemaligen DDR waren nicht geringer geworden.

Ein anderes Thema spielt ebenfalls eine große Rolle: die Entscheidung in der sogenannten Hauptstadtfrage. Am 20. Juni 1991 stimmten 338 für, rund 320 gegen die Verlegung des Bundestages nach Berlin als Parlaments- und Regierungssitz des vereinigten Deutschlands.

Ein besonderes Phänomen in den ersten Jahren nach der Vereinigung war der Rechtsextremismus.  Stichwort Hoyerswerda, Rostock und Mölln.

In diesen Jahren war auch die Zuwanderung ein wichtiges Thema und damit die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht.

Bei den Bundestagswahlen 1994 wurde die CDU/CSU-FDP-Koalition erneut bestätigt und Helmut Kohl am 15. September zum fünften Mal zum Bundeskanzler gewählt.

Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Einheit wurden deutlich, als am 1. Januar 1995 der Solidaritätszuschlag auf die Lohn-, Einkommens- und Körperschaftsteuer eingeführt wurde. Bis Ende 1999 waren 1,5 Milliarden DM an Unterstützung für die „neuen“ Bundesländer aufgebracht worden.

In den letzten Jahren der Kohl-Regierung blieb das zentrale Thema die wirtschaftliche Entwicklung und vor allem die Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Weit über 4 Millionen Arbeitslose erforderten einen nachhaltigen Beschäftigungsaufschwung. Es gelang der Regierung Kohl nicht, Reformgesetze wie Steuerreform und Gesundheitsreform durchzusetzen.

In der Außenpolitik ging es um Europa und auch um die NATO-Osterweiterung und schon damals um die Rolle der Ukraine und Russlands.

Der Versuch, Wolfgang Schäuble als Nachfolger Kohls 1997 zu etablieren, schien an einigen Abgeordneten aus den eigenen Reihen, vor allem der CSU,  und aus der FDP zu scheitern. Helmut Kohl sah sich gezwungen, erneut zu kandidieren und wollte es noch einmal wissen. Er scheiterte kläglich.

Die Wahl am 27. September 1998 ging für die Koalition und vor allem für die CDU/CSU verloren: die Union musste das schlechteste Ergebnis seit 1949 hinnehmen und rutschte unter die 40-Prozent-Marke.

Die Ära Kohl war zu Ende. Erstmals bildeten SPD und Grüne eine Koalition. Mit der Wahl Gerhard Schröders zum Bundeskanzler übernahm die Koalition aus SPD und Grünen nach 16 Jahren konservativ-liberaler Regierungszeit offiziell die Regierungsgewalt in Deutschland.

Soweit ein schneller Durchlauf der 16 Kohl-Jahre, die in diesem Buch „Mit den Augen der Anderen“ betrachtet und bewertet werden.

Darin kommt Helmut Kohl mit keinem Wort vor.

2007 zeichneten wir an mehreren Tagen allein über 16 Stunden lange Interviews mit ihm auf, die auch heute als besonderer Schatz im WDR-Filmarchiv lagern.

Doch in diesem Buch mit seinen 379 Seiten wurde bewusst auf ihn komplett verzichtet.

Oral History ist eine Methode der Geschichtswissenschaft, die auf Interviews von Zeitzeugen basiert. Zeitzeugen können frei erzählen, was sie wissen, an was sie sich erinnern. Das Buch, das heute vorgestellt wird, stützt sich einzig und allein auf Interviews als historische Quelle.

Eine besondere Dramaturgie ergibt sich fast automatisch durch die alphabetische Reihenfolge der interviewten Zeitzeugen abwechslungs- und facettenreich.

Die im Buch bewusst gewählte Reihenfolge werde ich hier allerdings verlassen und nach anderen Kriterien vortragen.

Heute geht es  mir einmal um Rückblicke der Kritiker Kohls aus deneigenen Reihen, um die Meinungen von SPD-Oppositionspolitikern, um politische Größen aus der ehemalige DDR, um die Ansichten ausländischer Politiker und schließlich um Einschätzungen besonderer Vertrauter des Altkanzlers falls noch Zeit dafür bleibt.

Einer der schärfsten Kritiker Kohls war der langjährige CDU-Generalsekretär und spätere Ministerpräsident von Sachsen Kurt Biedenkopf. Während Kohls Kanzlerschaft verfasste er mehrere Memoranden vor allem über die Wirtschafts- und Sozialpolitik, in denen er die Kompetenz der Regierung infrage stellte und scharf kritisierte.

Biedenkopf gehörte zur Gruppe jener Unionspolitiker, die Helmut Kohl im September 1989 als Parteivorsitzenden stürzen wollte. Im Interview mit mir zeigte sich der Pfälzer Biedenkopf überraschend versöhnlich. So bezeichnete er das System Kohl als Netzwerk, das ihm politische Strömungen seiner Verbündeten und seiner Anhänger vermittelte.

Den Begriff von der viel zitierten „geistig-moralischen Wende“ nannte er einen Slogan, der Erwartungen und Hoffnungen weckte. Zu dieser Art von Wende sei es nie gekommen,  und solche Formulierungen seien in der praktischen Politik ziemlich gefährlich.

Im September 1989 schien es aus Biedenkopfs Sicht so, als sei Kohl als Parteiführer am Ende. Kohl sei äußerst umstritten gewesen, und es habe eine relativ große Unzufriedenheit gegeben. Die „geistig-moralische Wende“ - von Kohl verkündet -  habe nicht stattgefunden. Niemand habe gewusst, was das eigentlich sein sollte.

Biedenkopf unterstrich im Interview, Kohl sei vor allem Außenpolitiker gewesen, der sich besonders um Europa gekümmert habe. Da habe er viel Gutes gemacht und die europäische Einigung vorangetrieben.

Aber er habe die Innenpolitik, vor allen Dingen die Sozialpolitik, anderen überlassen. Das sei im Fall der Sozialpolitik, die ungefähr ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts in Anspruch genommen habe, Norbert Blüm gewesen. Zwar habe sich Kohl etwas von Blüm und auch von seiner Politik distanziert. Aber damals war Blüm praktisch der Herr der Sozialsysteme, und die Sozialsysteme seien nicht zukunftsfähig gewesen.

Auf die Frage, wer für die deutsche Einheit verantwortlich gewesen sei, verwies Kurt Biedenkopf auf die Menschen. Das sei überhaupt keine Frage. Verantwortlich seien die Menschen gewesen, wiederholte er. Ausgelöst worden sei die Entwicklung sicherlich auch durch die veränderte Haltung der Sowjetunion unter Gorbatschow.

Biedenkopf weiter: Kohl war in Wirklichkeit zweimal Kanzler: einmal von Westdeutschland und einmal von Gesamtdeutschland. Beide Male habe er zwei Legislaturperioden regiert. Die Art und Weise, wie er den Fall der Mauer als politisches Ereignis aufgenommen und umgesetzt habe, gehöre zu seinen großen Leistungen.

Abschließend stellte Biedenkopf fest, die außenpolitische Absicherung der deutschen Einheit war Kohls größte Leistung. Ihm sei es gelungen, worauf er auch mit Recht stolz gewesen sei, die Einheit herzustellen mit Zustimmung aller neun Nachbarn. Das habe es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben.

Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von 1982 bis 1998, war lange Zeit eine wichtige Stütze in den Kohl-Kabinetten. Er war auf den Gewerkschaftskongressen der Prügelknabe und regte sich über den Vorwurf auf, in 16 Jahren keine Reform zustande gebracht zu haben. Die Leute, die das behaupten würden, müssten in den 16 Jahren der Kohl-Regierung in Alaska gewesen sein oder auf irgend einem Eisberg, unterstrich Blüm im Interview.

Im Gegensatz zu Biedenkopfs Meinung habe die Regierung Kohl gegen großen Widerstand die Konsolidierung der Rentenversicherung, der Krankenversicherung, der Gesundheitsreform und der Arbeitslosenversicherung auf den Weg gebracht. Er, Blüm, habe vor allem bei den harten Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner FDP Helmut Kohl an seiner Seite bei der Durchsetzung der Pflegeversicherung gehabt.

Auf die Frage, warum es einen jahrelangen Konflikt zwischen Kohl und Strauß gegeben habe, meinte er, ich müsse Siegmund Freud fragen Strauß habe sich sowieso für den Besten gehalten und jeden verachtet, der besser sein wollte.

Als enger Freund des langjährigen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, den Helmut Kohl auf dem Bremer Parteitag im September 1989 abrufen wollte, wandte sich Norbert Blüm dagegen. Er wagte sich allerdings auch nicht aus der Deckung, als Geißler gegen Kohl putschen wollte. Dazu später mehr.

Zur Spendenaffäre 1999, als herauskam, dass Helmut Kohl rund 2 Millionen Spenden nicht ordnungsgemäß angegeben hatte, kam es zum Bruch zwischen Kohl und Blüm . Nach einiger Zeit sei ihm gegen seine Gefühle klar geworden, dass es nicht angehe, dass die größte Errungenschaft des Rechtsstaates, nämlich die Idee, „dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, nicht auch  für Politiker gelte. Diese hätten sogar Vorbildfunktion. Dass Kohl die Namen der Spender nicht genannt habe, sei für ihn, Blüm, unverzeihlich gewesen.

Zu den schärfsten Kritikern Helmut Kohls zählte Heiner Geißler, einst ein Vertrauter des Kanzlers, drei Jahre lang Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett Kohl und Nachfolger Kurt Biedenkopfs im Amt des CDU-Generalsekretärs von 1977 bis 1989. Seit ihm Kohl im Sommer 1989 eröffnet hatte, ihn nicht erneut zum Generalsekretär vorzuschlagen, sann  er auf Rache und wollte auf dem CDU-Parteitag im September 1989 eine Ämtertrennung herbeiführen. Lothar Späth sollte Kohl als Parteivorsitzender ersetzen. Bekanntlich scheiterte dieses Vorhaben an der mangelnden Unterstützung des Putschversuches und auf den Kandidaturverzicht von Lothar Späth.

Im Interview verwies Geißler auf die von Helmut Kohl immer gestellte Machtfrage. Kohl fühlte irgendwo instinktiv, dass seine Macht möglicherweise gefährdet werden könne, beispielsweise durch Kurt Biedenkopf, einfach aufgrund der Fähigkeiten, die Biedenkopf zweifellos hatte. Auch im Falle Geißlers sah Kohl durch dessen eigenwillige politischen Vorschläge seine Macht in Gefahr und wollte ihn kaltstellen, was schließlich auch geschah.

Allerdings gab es im Herbst 1989 nicht nur in der Fraktion Unmut, sondern in der gesamten Partei, unter anderem auch wegen der demoskopischen Negativzahlen. Viele parteiinterne Kritiker waren der Auffassung, die Bundestagswahl 1990 würden mit Kohl verloren. Die Regierung sei heruntergewirtschaftet. Für Geißler war keine Perspektive mehr erkennbar, war das Ansehen der Regierung geschwunden, waren die Inhalte unklar geworden.

Auch die Steuer- und Wirtschaftspolitik hatte in der Partei keinen großen Anklang mehr gefunden. Es war die allgemeine Unzufriedenheit und allgemeine Kritik, die damit zusammenhing, dass das Ansehen von Helmut Kohl stark gesunken war.

Diejenigen, so Geißler, die gesagt hatten, es solle ein neuer Parteivorsitzender her, wollten Kohl allerdings nicht als Kanzler stürzen, obwohl das vielleicht aus politischer Sicht der richtige Weg gewesen wäre.

Auf Geißlers Drängen war die Planung so, dass Lothar Späth Parteivorsitzender werden sollte. Es kam nicht dazu, weil Lothar Späth 14 Tage vorher sagte, er kandidiere nicht. Dazu später mehr.

Nach dem Parteitag in Bremen vom September 1989 und dem Glück der deutschen Einheit sei, aus Geißlers Sicht, Helmut Kohl autoritärer geworden. Die Zahl derer, die Loyalität mit Gehorsam verwechselt hätten, habe zugenommen.

Als Folge der deutschen Einheit sei das Perspektivische und die gedankliche Entwicklung innerhalb der Christlich-Demokratischen Union fast zum Erliegen gekommen. Die Parteiführung der Neunzigerjahre bezeichnete Heiner Geißler als geistiges Sultanat in, dem im Grunde genommen die Partei selber, auch der Bundesvorstand, keine Rolle mehr gespielt hätten. Und das sehr zum Schaden der Partei. Zwei Legislaturperioden später habe die Union und dann auch die Regierung als Folge der Nivellierung der CDU als Volkspartei verloren.

Den Anteil Helmut Kohls daran, dass das vereinte Deutschland in der NATO blieb, schätzte Heiner Geißler als äußerst gering ein. Die deutsche Einheit, auch was die NATO anbelangte, sei das Werk von Bush und dann auch von Gorbatschow gewesen.

Er wolle das Verdienst von Helmut Kohl nicht vermindern; aber entscheidend seien Gorbatschow Bush gewesen. Kohl habe ein historisches Verdienst, und das sei die europäische Einigung. Er habe als Bundeskanzler die europäische Entwicklung wieder in Gang gebracht, und es sei europäisch nicht nur ein wenig geschehen, sondern Europa sei meilenweit vorangekommen, bis hin zur Einführung des Euro.

Die europäische Einigung sei Kohls eigentliches historisches Verdienst, nicht die deutsche.

Hart ins Gericht ging Heiner Geißler mit Kohls Spendenaffäre. Er habe unverzeihliche Fehler gemacht, weil er die Verfassung zur Makulatur erklärt habe. Denn das Desaster der Parteispendenaffäre auch in den Achtzigerjahren sei darin begründet, dass die Verantwortlichen Verfassungsbestimmungen nicht ernst genommen hätten. Sich über die Verfassungsbestimmungen hinweggesetzt zu haben, sei die eigentliche Ursache für das Fehlverhalten von Kohl. Die Verfassung habe bei ihm keine Rolle gespielt. Soweit der politische Überzeugungstäter Heiner Geißler.

Große Erwartungen hatte ich an das Gespräch mit Lothar Späth, den in letzter Minute der Mut verlassen hatte, gegen Helmut Kohl als CDU- Parteivorsitzender im September 1989 anzutreten.

Er habe überhaupt keine Absicht gehabt, Parteivorsitzender zu werden, sagte er mir vor laufender Kamera. Es sei noch dazugekommen, dass er eigentlich Helmut Kohl mochte und mit ihm keine persönlichen Rivalitäten gesucht habe. Aber er sei schon der Meinung gewesen, etwas unternehmen zu müssen, um die Partei voranzubringen. Aber das sei dann wie bei vielen Dingen gerade auch in bürgerlichen Parteien so gewesen: Da habe der eine so gemeint, der andere so und der Dritte so. Die Sache sei dann beendet worden, weil er sich gesagt habe, was wollt ihr eigentlich machen? „Wenn ihr das selbst nicht wisst, dann machen wir gar nichts“.

Eine ziemlich unbefriedigende Beschreibung der damaligen Pläne und Absichten, gegen Helmut Kohl zu putschen oder der Königsmörder zu sein.

Unter den Kohlkritikern ragte eine Frau ganz besonders heraus: Rita Süssmuth, drei Jahre Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit und von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Vorweg sei gesagt: Ohne Helmut Kohls Unterstützung wäre Rita Süssmuth niemals Ministerin in seinem Kabinett geworden und schon gar nicht Bundestagspräsidentin.

Wie gespannt das Verhältnis zwischen beiden war, zeigte sich auch daran, dass Helmut Kohl nicht ihrem Wunsch entsprochen hatte, einst für das Amt der Ministerpräsidentin von Thüringen zu kandidieren. Das hat Rita Süssmuth dem mächtigen CDU-Bundesvorsitzenden nie verziehen.

Im Interview knapp zehn Jahre nach dem Ende auch ihrer politischen Karriere 2008 sagte Rita Süssmuth, es habe viel Unstimmigkeit mit ihm gegeben, wenn sie mal wieder mit Forderungen zur Frauenpolitik vorgeprescht sei.

Wenn sie mit Helmut Kohl unter vier Augen diese Fragen diskutierte, dann sei  die Unterschiedlichkeit in der Auffassung gering gewesen. Politisch sei er jemand gewesen, der immer schaute, wo könnte ihm die Partei auseinanderbrechen. Wahltaktische Gründe spielten bei ihm immer eine große Rolle.

Sie habe oft auch Probleme damit gehabt, wie weit er bei der Einbindung der Parteimitglieder am rechten Rande ging. Das war etwas, was ihn permanent bewegte, so dass man manchmal gedacht hat, Mensch, das ist wahnsinnig gestrig.

Warum hielt er denn an diesen Personen fest? Aber es ging für ihn  – und er war durch und durch Parteimensch – um die Einheit der Partei, die ihm so  wichtig war.

Kohls Stärke war, so Süssmuth weiter, dass er eine große intuitive Fähigkeit hatte, gleichsam banale Dinge, die aber strategisch überhaupt nicht zu unterschätzen waren, nämlich Verhärtungen, Verknotungen, Nicht-mehr- miteinander-reden-Können, auflösen konnte und von daher immer  ein Überraschungsmoment hatte, womit er andere Positionen klären konnte.

Zum System Kohl gehörte nach Süssmuths Überzeugung, dass der Staatsmann und der Parteimann gleichsam in vielen Punkten eine Einheit bildeten.

Und die persönliche Ebene spielte für ihn eine ganz wichtige Rolle, mit welchen Personen er sich umgab, welchen er vertraute und welchen er misstraute. Das gehörte zum System Kohl.

Und es gehörte dazu, nicht gleich zu sagen, wo er selbst stand sondern abwartete. Man hat ihm dann oft nachgesagt, er sitze die Probleme aus. Aber Rita Süssmuth hielt dagegen, dass auch dies eine Methode, eine Strategie war und kein Nichtwissen.

Zum System Kohl gehörte nach ihrer Ansicht weiterhin das Verhandeln in Einzelgesprächen und kleinsten Gruppen. Das hatte damit etwas zu tun, wo hatte er Vertrauen und wo hatte er keines, wer gehörte zum innersten Kreis.

Aber das, was er erreicht hatte, passierte in aller Regel in Kleinsteinheiten, in Zweier-, maximal Dreiergesprächen.

Überraschend positiv fiel Süssmuths Bilanz der 16-jährigen  Kanzlerschaft von Helmut Kohl aus. Sie sei stark in der Ausrichtung der deutschen Einheit gewesen. Damit werde er auch in die Geschichte eingehen und als Europapolitiker.

Von daher sei er für sie stärker ein Außenpolitiker als Innenpolitiker gewesen. Die Fragen seien in den Jahren nicht in erster Linie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Globalisierungsprozess gewesen.

So wurden auch bestimmte Reformen, insbesondere nach 1989, aufgeschoben, die umso bedrängender in den Jahren danach auf den Plan gekommen seien.

Bei der verlorenen Wahl 1998 seien zwei Dinge zusammengekommen: 16 Jahre seien genug. Nicht in dem Sinne, er habe nichts geleistet, sondern der Wunsch nach Wechsel. Das halte sie für normal und legitim in Demokratien.

Mein  Gespräch mit Richard von Weizsäcker ging eigentlich am Thema „Bilanz der Ära Kohl“ vorbei. Über den Mann, der zunächst drei Jahre lang Regierender Bürgermeister von Berlin und von 1984 bis 1994 Bundespräsident der Bundrepublik Deutschland war, habe ich, wie eingangs erwähnt, zwei Filme gedreht und zwei Bücher geschrieben.

Darüber ließe sich vieles erzählen, auch über seinen Nazi-Vater im Auswärtigen Amt unter Außenminister Ribbentrop. Wichtiger noch, wie der junge Richard seinen anfangs zum Tode verurteilten Vater im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu verteidigen suchte.

Richard von Weizsäcker hielt an der unbewiesenen These fest, sein Vater habe Schlimmeres verhüten wollen. Dabei hatte er als Staatssekretär Transporte französischer Juden nach Auschwitz paraphiert - sprich genehmigt- , was ihm später zum Verhängnis werden sollte. Doch das ist ein anderes Thema.

Das Verhältnis zwischen Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker war lange Jahre von konstruktiver Zusammenarbeit im Umgang geprägt. Weizsäckers Wille, unbedingt Bundespräsident zu werden, hatte das Verhältnis zwischen Bundeskanzler und dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker nachhaltig verändert.

Gleichwohl entschloss sich der CDU-Bundesvorsitzende 1984, gegen seine innere Überzeugung  Richard von Weizsäcker zum Bundespräsidenten vorzuschlagen.

Doch die zehn Jahre Weizsäckers im höchsten Amt, das die Bundesrepublik Deutschland vergeben kann, waren von einem schwierigen Verhältnis bis zur gegenseitigen Ablehnung geprägt. Auch darüber könnte man abendfüllend berichten.

Im Interview von 2008 ging es wesentlich um Weizsäckers Interpretation der einschlägigen Daten zur deutschen Geschichte in der Ära Kohl.

Ein Freund von mir, der das Buch „Mit den Augen der Anderen“ als sachkundiger Leser studiert hatte,  schrieb mir, manches Interview in diesem zeitgeschichtlich ansprechenden Werk  sage mehr über den Interviewten aus als über die Ära Kohl und ihren Namensgeber. Aber auch das habe einen Wert an sich. Dieser Meinung schließe ich mich gerade im Fall von Richard von Weizsäcker gerne an.

Übrigens: Richard von Weizsäcker erwähnt ein einziges Mal den Namen Kohl und zwar im Zusammenhang mit dem Wechsel im Kanzleramt von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl.

Eines der meinungsfreudigsten und ergiebigsten Gespräche, die ich mit Kamera und Mikrofon in den Jahren 2007 und 2008 zur Geschichte der Bonner Republik führte, war mit Wolfgang Schäuble.

Der Badener war in der Ära Kohl Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister des Innern, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und schließlich unter Merkel Bundesminister der Finanzen. Von 2017 bis 2021 zählte Schäuble  zu den fähigsten Präsidenten des Deutschen Bundestages, die es in der Geschichte unserer Republik gab. Das Amt des Bundeskanzlers in der Nachfolge von Helmut Kohl ebenso wie das Amt des Bundespräsidenten blieben ihm verwehrt.

Niemand  sonst in der Ära Kohl verfügte über einen solch großen Einfluss auf die Bonner Politik und damit auf die 16-jährige Kanzlerschaft des Pfälzers Kohl.

Im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre nach 1999 zerbrachen das politische Zweckbündnis und die langjährige Freundschaft zwischen Kohl und Schäuble. Bei diesem Thema wurde Schäuble schmallippig.

Für ihn bedeutete die geistig-moralische Wende ab 1982 eine stärkere Rückbesinnung darauf, dass Freiheit nicht Bindungslosigkeit und Beziehungslosigkeit bedeute, sondern dass Freiheit und Verantwortung immer zusammenhängen, dass Rechte und Pflichten zusammenhängen, dass die Denkweise „anything goes“ Unsinn ist, dass eine freiheitliche Verfassung Koordinaten, auch Begrenzungen brauche, dass deswegen Familie eine wichtige Institution ist und dass man sie nicht aufgeben kann.

Damit war genauso gemeint, dass man die Verantwortung für die Allgemeinheit, auch für das Vaterland, ernst nehmen muss.

Dann war mit geistig-moralischer Wende aus Schäubles Sicht auch gemeint, wieder ein Stück weit mehr Zuversicht zu vermitteln. Es gab damals von einem Institut eine Umfrage zu jedem Jahresende, ob die Deutschen mehr mit Optimismus oder mit Pessimismus in das kommende Jahr gehen. Und der Grad des Pessimismus war von Jahr zu Jahr in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren immer stärker angestiegen.

Ab 1983 sei die Zahl der Optimisten wieder angestiegen. Das alles markiert die geistig-moralische Wende. Der Begriff  sei  viel karikiert worden. In der Substanz war er richtig. Und in der Substanz ist er auch in Teilen jedenfalls verwirklicht worden.

Als Chef des Bundeskanzleramtes war Schäuble auch für die  deutsch-deutschen Beziehungen federführend verantwortlich. Diese Politik habe darauf abgezielt zu sagen: o. k. Wir können an den Grundkonstellationen nichts ändern. Das liegt auch gar nicht in der Macht der Deutschen. Aber solange die Welt so ist, wie sie ist, wollen wir versuchen, durch Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen, das Menschenmögliche zu erreichen, ohne dabei unsere Prinzipien aufzugeben.

Die Vorbereitungen für den Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik 1987 oblagen dem Kanzleramtschef. Im Interview ging Schäuble  darauf ein und erläuterte bisher unbekannte Hintergründe zum Arbeitsbesuch – wie es damals hieß – des mächtigsten Mannes der DDR in Bonn. Er erzählte über hochspannende Details, die ich noch nicht gehört hatte.

Natürlich war bei meinem Interview mit Wolfgang Schäuble auch der versuchte Sturz Helmut Kohls auf dem Parteitag in Bremen im September 1989 ein Thema.

Natürlich habe er auch mit Heiner Geißler, mit dem er immer ein gutes Verhältnis hatte, gelegentlich darüber geredet, auch über Punkte, die man bei Kohl kritisch sehen konnte. Es war ja nicht alles nur Gold. Er habe Heiner Geißler immer gesagt: Weißt du, solange ich Chef des Kanzleramtes bin und in der Zwischenzeit Bundesinnenminister, solange werde ich loyal sein. Wenn ich nicht mehr überzeugt wäre, dass es richtig ist, zu Kohl loyal zu sein, ihn zu unterstützen, würde ich ihm das sagen und würde mich von ihm trennen. Aber ich würde nicht aus dem Amt heraus gegen ihn intrigieren. Das Intrigieren sei nie seine Sache gewesen.

Deshalb habe er auch in den Neunzigerjahren gesagt, ich kann zwar mit Kohl unterschiedlicher Meinung sein, aber er weiß, er kann sich auf mich verlassen, ich werde ihn nicht bescheißen.

Deswegen habe er mit dieser Geschichte 1989 wenig zu tun gehabt. Er sei im Übrigen auch ganz entspannt gewesen, dass sie auf dem Parteitag keinen Erfolg haben würde. Daran habe er nicht den geringsten Zweifel gehabt.

Ausführlich sprach Wolfgang Schäuble über die politische Entwicklung vom Mauerfall an, über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, über die Einführung der D-Mark in der DDR und den Staatsvertrag zum Beitritt der DDR nach Art. 23 des Grundgesetzes bis zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990.

Meinungsfreudig und detailreich beschrieb Schäuble die Neunzigerjahre bis zum Ende von Kohls Kanzlerschaft, wie er nach eigenen Worten als Fraktionsvorsitzender mit Kohl hervorragend zusammenarbeitet hatte.

Schließlich ging es um das Thema Reformstau - übrigens das Wort des Jahres 1997. Immer noch bewegten ihn auch die Gründe für die verlorene Bundestagswahl 1998. Von Demoskopen hätten sie damals bei der Ursachenanalyse die Antwort bekommen, dass sie zu viele Reformen gemacht und deswegen die Wahl verloren hätten. Als Fraktionsführer sei er dafür verantwortlich gemacht worden. Soviel zum Thema Reformstau.

Schäuble glaubte, nach 16 Jahren war die Mehrheit der Wähler in Deutschland der Meinung, wie sie Gerhard Schröder – da müsse man Respekt haben – im Wahlkampf genial zusammengefasst habe: „Danke, Helmut, es reicht“.

Wenn Politiker nicht freiwillig aufhören würden, werde irgendwann ihre Amtszeit beendet werden durch eine Entscheidung von jemand anderem. Das heiße dann eben nicht, dass damit die Amtszeit mit einer Niederlage ende. Das könne an der Bewertung der Amtszeit nicht wirklich etwas verändern. Das sei eben Demokratie, so Wolfgang Schäuble im Fernsehinterview 10 Jahre nach dem Machtwechsel in Bonn.

Um ein Haar hätte ich Hans-Dietrich Genscher vergessen, lange Jahre Bundesvorsitzender der FDP, unter Willy Brandt Bundesinnenminister und unter Helmut Schmidt Bundesminister des Auswärtigen bis zum Koalitionsbruch 1982 - wie der Wechsel von der Koalition mit der SPD zur CDU oft genannt wird.  Dann unter Helmut Kohl weiterhin  Chefdiplomat bis 1991.

Das Genscher-Interview aus dem Jahr 2007 ist im Gegensatz zu manch anderen Genscher-Gesprächen erfrischend offen. Darin beschreibt er, wie es zum konstruktiven Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt kam, wie er die Bilanz der Kanzlerschaft Schmidts in der Rückschau sah.

Lesenswert auch, wie er das Duo Kohl-Genscher beschreibt ebenso wie die Kontinuität in der deutschen Außenpolitik. Nicht nur für Politikprofis sind Genschers Einschätzungen der deutsch-sowjetischen Beziehungen vor und nach dem Mauerfall aufschlussreich.

Ausgiebig berichtet Genscher von der Rolle Ungarns 1989 und dem eigenen Erleben des Mauerfalls. Seine Erfolge als deutscher Außenminister bei den 2 + 4 Gesprächen nehmen einen breiten Raum ein.

Die Rolle der Amerikaner unter George H.W. Bush und der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow bei der Deutschen Wiedervereinigung werden realistisch dargestellt.

Genschers größte Lebensleistung in der Politik war seiner Meinung nach, dass er dazu beitragen konnte, dass der Weg zur deutschen Einheit geöffnet wurde.

Natürlich kommen im Buch auch eine Reihe  Oppositionspolitiker der SPD zu Wort, die an der 16-jährigen Kanzlerschaft Helmut Kohls eine Menge auszusetzen hatten.

Allerdings wird Kohls Lebensleistung bei der Herstellung der Deutschen Einheit durchweg gelobt. Klaus von Dohnanyi beispielsweise, einst Bundesminister für Bildung und Wissenschaft unter Kanzler Willy Brandt, Bundestagsabgeordneter und später Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, ging auch mit der eigenen Partei und vor allem mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine scharf ins Gericht. Selten habe ich derart vernichtende Kritik gehört oder gelesen  über die Haltung weiter Teile der SPD nach dem Mauerfall.

Sein Fazit der Kohl-Ära: Große politische Leistung in der Zügigkeit der Wiedervereinigung, politisch hat er die Vereinigung richtig gemacht, ökonomisch jedoch falsch.

Historische Leistung mit der Einführung des Euro, vorbereitet von Helmut Schmidt, aber nicht verbunden mit einigen Bedingungen, die man hätte stellen müssen.

Ein sehr ergiebiges Interview war dasjenige mit Hans-Ulrich Klose, ehemals Erster Bürgermeister von Hamburg und von 1991 bis 1994 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und damit direkter Gegenspieler des Kanzlers.

Auch Klose erwähnt im Zusammenhang mit der deutschen Einheit die Fehler seiner Partei und vor allem des damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine. Er nannte Kohls Satz von den „blühenden Landschaften“ und „es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür viel besser“ eine Kohlsche Übertreibung. Kloses Beschreibung seines persönlichen Verhältnisses zu Helmut Kohl ist äußerst aufschlussreich, ebenso wie die Gründe, die er für Helmut Kohls Wahlniederlage 1998 sieht.

Beim Interview mit Markus Meckel,  der 1990 ein knappes halbes Jahr Außenminister der DDR war, sind wir vom Thema etwas abgekommen und haben uns sehr auf die Gründung der SPD in der ehemaligen DDR konzentriert.

Viel Neues und Unbekanntes. Für sozialdemokratische Leser mit historischem Interesse eine faktenreiche Fundgrube.

Erwähnenswert ist sicherlich auch das Gespräch mit Wolfgang Thierse, Mitbegründer der Ost-SPD und deren Vorsitzender, Bundestagsabgeordneter und nach der Abwahl Kohls sieben Jahre Präsident des Deutschen Bundestages. Thierse zählt in diesem Buch zu den heftigsten Kritikern der Kohl-Ära und gibt einen bemerkenswerten Einblick in die Seelenlage eines Politikers auf der Oppositionsbank.

Im Westen weniger bekannt ist der Theologieprofessor Richard Schröder, für die SPD Abgeordneter in der DDR-Volkskammer und nach der Wiedervereinigung Mitglied des Deutschen Bundestages.

Vor allem Schröders Beschreibung der Entwicklung in der DDR nach dem Mauerfall und der darauf folgende politische Neubeginn in seiner Heimat ragen in der Interview-Reihe besonders heraus.

Mit intellektueller Überzeugungskraft beschreibt er die Kohl-Ära und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen, die den Leser überraschen werden. Richard Schröders Interview ist ein Highlight der 380 Seiten „Mit den Augen der Anderen“.

Überhaupt haben mich die Gespräche mit gelernten DDR-Bürgern zum Teil fasziniert. Einer von ihnen war Joachim Gauck, zu DDR-Zeiten evangelischer Pfarrer, nach 1991 „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ - auch „Gauck-Behörde“ genannt - und ab 2012 für fünf Jahre Bundespräsident. Seine Bewertungen und Analysen sind gut lesbar, meinungsfreudig und aus fundierter  DDR-Sicht.

Eines der längsten Gespräche führte ich mit dem ehemaligen SED-Parteichef von Dresden und dem letzten Ministerpräsidenten der DDR Hans Modrow. Seine Bewertung der Kohl-Ära aus der Perspektive eines überzeugten Kommunisten ist nicht ohne Reiz und eine sehr empfehlenswerte Lektüre. Neben Innenansichten der SED-Diktatur und Psychogrammen der Politbüromitglieder sind Modrows historische Analysen besonders aufschlussreich.

Die Rolle Gorbatschows im Deutschen Wiedervereinigungsprozess wird von Hans Modrow gnadenlos verrissen.

An diese Stelle würde ich zwar noch gerne auf Gespräche mit Engvertrauten Helmut Kohls hinweisen. Beispielsweise auf Roman Herzog, Rudolf Seiters oder Theo Waigel. Doch das erspare ich mir aus Zeit-Gründen.

Bei unserer Fernsehproduktion legten wir besonderen Wert auf Gespräche mit ausländischen Politikern, die in der Ära Helmut Kohl eine Rolle spielten. Rolf Steininger hat sich diese Interviews noch einmal angeschaut.

Besonders aufschlussreich waren für ihn dabei die französischen Interviewpartner. An erster Stelle ist Jacques Attali zu nennen, Berater des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand.

Er erzählte von der ersten Begegnung mit Helmut Kohl bei dessen Besuch unmittelbar nach der Wahl zum Bundeskanzler. Was er mitteilte, war in vielfacher Hinsicht symptomatisch für Helmut Kohl.

Gleich zu Beginn des Interviews gab Attali eine Erklärung ab: Die Tatsache, dass er Jude sei, sei für ihn nicht ohne Bedeutung für sein Verhältnis zu Deutschland. Er habe nicht vergessen, dass Mitglieder seiner Familie in den Konzentrationslagern umgekommen seien. Er habe Deutschland gegenüber immer ein großes Misstrauen bewahrt.

Und dann erzählte er, was beim Antrittsbesuch von Kohl geschah und was ihn sehr erstaunte; nach wenigen Minuten wandte sich Kohl an ihn, um mit Attali über dessen Leben zu sprechen. Er sagte zu ihm, er sei tief bewegt, dass der wichtigste Mitarbeiter des französischen Staatspräsidenten jemand sei, der eine mit Deutschland verbundene persönliche Verletzung habe, dass er, wie jedermann wisse, durch den Krieg, durch diese Geschichte tief getroffen sei und dass er die deutsche Schuld als etwas Unabänderliches erlebe.

Das war Helmut Kohl: Er informierte sich vor jedem Gespräch über die Geschichte seines Gegenübers, kannte fast sämtliche Einzelheiten.

Er war jemand mit einer, so Frankreichs Premierminister Edouard Balladur, sehr menschlichen Seite, der denkt, dass der zwischenmenschliche Austausch viel wichtiger ist als Lektüre von Unterlagen.

Er halte viel vom persönlichen Kontakt. Die andere starke Seite des Kanzlers, so Balladur, war seine gute Kenntnis der Geschichte.

Er hegte den Wunsch, allen europäischen Ländern zu zeigen, auch wenn es die kleinsten, die schwächsten oder solche mit sehr geringer Bevölkerung waren, dass er Wert darauf legte, deren Meinung zu kennen und ihnen nicht den Willen einiger größerer Länder aufzuzwingen.

Und immer wieder geht es um das besondere Verhältnis zwischen Kohl und Mitterrand. Der ehemalige Präsidentenberater Hubert Védrine erzählte etwas von den Anfängen: die Dynamik zwischen den beiden entstand demnach gleich im Oktober 1982, als die meisten deutschen Kommentatoren sich noch über Kohl  lustig machten.

Mitterrand habe sofort gespürt, dass es sich um einen Mann handele, der viel Autorität ausstrahlte und ausgesprochen europäisch dachte. So funktionierte es zwischen den beiden sofort. Zwischen ihnen, so Védrine, entstand eine echte Freundschaft; ein Thema war der Krieg. Sie sprachen sehr häufig davon und darüber, was in ihren Familien geschehen war. Und selbst bei offiziellen Anlässen nahmen sie sich fast immer 15 bis 20 Minuten Zeit, um geschichtliche Erinnerungen auszutauschen.

Védrine wörtlich: „Erinnern wir uns noch an Kohls Tränen bei der Trauerfeier für Mitterrand in Notre-Dame nach der Wiedervereinigung“.

Dann, sehr viel nüchterner, die Amerikaner. Außenminister James Baker: „Wir setzten großes Vertrauen in Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Es gab strittige Themen etwa bezüglich der polnischen Grenze, aber es gab keine grundsätzlichen Probleme. Wir hielten zusammen und nutzten diese zeitlich begrenzte Gelegenheit zur erfolgreichen Vereinigung.“

Ähnlich der nationale Sicherheitsberater von Präsident Bush, Brent Scowcroft: „Ich war von Helmut Kohl als Person sehr beeindruckt. Als Kanzler war er, wenn man die Art betrachtet, wie er Deutschland regierte, keine dynamische Führungsperson. Er war ein sehr vorsichtiger, behutsamer Politiker, aber er schaffte es, dass es funktionierte. Er war nicht annähernd so spektakulär wie manch einer seiner Vorgänger, aber sehr, sehr kompetent.“

Von den Briten erfahren wir interessante Einzelheiten zum Verhältnis Kohl-Thatcher, etwa zum Zehn-Punkteplan, der Thatcher erschreckte. Der britische Außenminister Douglas Hurd:

„Es waren einfach Reibungen persönlicher Art. Sie war der Meinung, Kohl rede zu viel. Und manchmal kann man nicht viel machen, wenn die Chemie nicht stimmt.“ Kohl bemühte sich, Thatcher habe zwar gelernt, seine Integrität zu schätzen, aber, so Hurd weiter, „das bedeutet nicht, dass sie sich mit ihm in einem Raum wohlgefühlt oder es genossen hätte, mit ihm zu speisen, denn das war nicht der Fall. Wir mussten es ganz einfach so akzeptieren, wie es war.“

Hurd weiter: „Kohl hatte eine Nase für die wichtigen Dinge. Er war nicht besonders an kleinen Details interessiert. Die wichtigen Dinge interessierten ihn, und wenn er auf einen wichtigen Punkt fixiert war, dann konnte er ihn durchsetzen, da er sich politisch und als Person in einer sehr starken  Position  befand.“

Vom ehemaligen Premierminister John Major lesen wir Überschwängliches: „Ich betrachte Helmut Kohl als Freund. Wir wurden Freunde fast von dem Moment an, als wir uns das erste Mal trafen. Ich bewunderte ihn für die Art und Weise, wie er die große Bürde der Wiedervereinigung annahm, historisch unausweichlich, aber er war der Mann, der da war und der es bewerkstelligte, und ich glaube, mit unübertrefflichem Geschick. Und ich bewunderte ihn auch, weil er immer auch über Deutschland hinaus sah. Immer verstand er die Bedenken, die andere Leute historisch gegenüber einem wiedervereinigten Deutschland hatten.“

Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse, später Präsident Georgiens, geht in dem Interview noch einmal die ganze Geschichte der Wiedervereinigung durch, vom Fall der Mauer über Kohls Zehn-Punkteplan bis zu den 2 + 4 Gesprächen.

Er nennt Kohl einen Politiker, der „vorsichtig war, denn er wusste nicht, wie sich die Sowjetunion verhalten würde. Das ist doch klar, wir hatten eine halbe Million Militärs in Deutschland. Kohl war einfach vorsichtig, kann ich gut verstehen, dass er Zweifel hatte. Die Gefahr war groß.“

Und dann Michail Gorbatschow. Misstrauen habe anfangs die Beziehung geprägt: „Ich muss ganz klar sagen: Kohl war derjenige, von dem das in erster Linie ausging.“ Der habe ihn bekanntlich mit Goebbels verglichen.

Das erste Gespräch gab es dann erst 1988. Gorbatschow: „Wir haben sofort alle Missverständnisse beseitigt. Es war ein offenes Gespräch unter Männern. Wir haben über die gegenwärtige Politik gesprochen und über unsere Geschichte und sind zu der klaren Erkenntnis gekommen, dass die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern das Wichtigste sei.

Bismarck haben wir zwar nicht zitiert, aber er war irgendwie anwesend. So hat das alles begonnen.“

Gorbatschow verschweigt nicht, dass es Schwierigkeiten gab, etwa beim überraschenden Zehn-Punkteplan Kohls, aber Gorbatschow wörtlich: „Helmut Kohl hat mit seinen Plänen der Vereinigung gewonnen, verdient gewonnen. Ich habe eine sehr freundschaftliche Beziehung zu ihm … Wir sind Freunde geworden und können über alles reden.“

Zum Schluss möchte ich noch mein Interview mit Günter Schabowski erwähnen. Der als Maueröffner oft zitierte ehemalige Chefredakteur des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“, SED-Politbüromitglied und zuletzt Sekretär für Informationswesen, wurde bekannt durch seine Pressekonferenz, in der er die Maueröffnung verkündete.

 Seine klugen Analysen der Kohl-Ära zeugen von einer Abkehr von ideologischen Scheuklappen und kommunistischen sprachlichen Versatzstücken.  Schabowskis Beschreibung der dramatischen Ereignisse und Entwicklungen  vom Fall der Mauer bis zur Wiedervereinigung lesen sich wie ein Krimi.

Der Applaus wurde dann
von Axel Wischnewski
unterbrochen.

„Warten Sie mal, warten Sie mal, klatschen Sie noch keinen Beifall!

Meine sehr geehrten Damen und Herrn, liebe Freundinnen und Freunde,

zunächst einmal ein herzliches Wort des Dankes den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Lande und hier im Saale.
Der Bürger fragt sich zurecht: Warum ist dieser Bundeskanzler so unerhört erfolgreich?
Und vor allem eins: Ich sage dies in aller Offenheit: Ein ganz großartiger Einfall, mich hier nach Köln einzuladen. Und lassen Sie mich in aller Entschlossenheit hinzufügen: Ich habe den Mut und die Entschiedenheit mir das anzuhören, was alles über mich geschrieben wird.
Mein lieber Schwan, oder darf ich Heribert sagen? Es ist besser mit den Freunden zu sprechen als über die Freunde. Ich habe den Mut zu sagen: Eine ganz vorzügliche Arbeit haben Sie da geschrieben. Da kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Ein ganz großartiges Buch. In aller Ehrlichkeit füge ich hinzu: Etwas anderes zu sagen ist ganz unerträglich.
Aber warten wir‘s ab, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, hier im Saal und draußen vor den Bildschirmen: Lesen Sie selbst, weil: Das Entscheidende ist, was hinten herauskommt.

(erhebt sein Glas)

Habt Ihr noch alle zu trinken? Ein Hoch auf unseren Heribert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen ganz großartigen Abend. So, und jetzt können Sie Beifall klatschen!“

„Kohl 2.0“: Parodistischer Epilog
zur Buchvorstellung von Heribert Schwan
am 16.11.2022: „Mit den Augen der Anderen“
Text und Parodie von Axel Lischewski
- November 2022-

Besser kann man Helmut Kohl nicht imitieren.

Schließlich bat ich Rainer, Justiziar des Münchener „Penguin Random House“- Verlags, der bei der Zeugenvernehmung des Kohl-Sohnes Walter in der Causa Kohl im Gerichtssaal des OLG-Köln verbracht hatte, um eine kurze Einschätzung. Sie endete in einem hoffnungsvollen Ausblick auf das Urteil des OLG.

Zum Schluss der Veranstaltung sprach die Geschäftsführerin der Hannelore Kohl-Stiftung, Helga Lüngen, über die wichtigsten Aufgaben der Stiftung und über die erfreuliche Bilanz der letzten 40 Jahre.

Im Spendentopf der Hannelore Kohl-Stiftung landeten an diesem Abend immerhin 1002 Euro.

Fingerfood, Weiß- und Rotwein wurde reichlich genossen.

Ebenso zum Abschluss ein kleines Konzert mit Zugabe des Duos Wolfgang Behrendt (Piano) und  Paul G Ulrich (Kontrabass).

Heribert Schwan